Zugänglichkeiten von Apps: Ein Überblick
Apps sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken – das gilt auch für sehbeeinträchtigte Menschen. Doch nicht alle Apps sind barrierefrei. Wie können sie zugänglicher gestaltet werden, und welche Kriterien sind dafür entscheidend? Michaela Bracher hat in ihrer Diplomarbeit untersucht, was Apps für sehbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche wertvoll macht. Zudem wurde im letzten Jahr eine Studie der Stiftung Access for all zur Zugänglichkeit von Apps veröffentlicht.
Von Michel Bossart
Die Welt wird zunehmend digitalisierter. Auch wer nicht auf Social Media unterwegs ist, kann sich der Digitalisierung des Alltags kaum entziehen: Tickets lösen, Fahrpläne abrufen, einen Tisch im Restaurant reservieren, Treuepunkte sammeln und -prämien einlösen – Ja selbst wer mit einem Dienstleister wie zum Beispiel dem Mobilfunkanbieter kommunizieren will, muss das oft über einen Chatbot tun. Kurz und bündig: Apps sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung bieten sie darüber hinaus eine zusätzliche Möglichkeit, ihren Alltag selbstständiger und selbstbestimmter zu gestalten. Umso wichtiger ist darum, dass Apps für sehbeeinträchtigte Menschen gut zugänglich sind und dass deren Nutzung auch eingeübt wird.
Michaela Bracher hat 2021 in ihrer Diplomarbeit für die Höhere Fachprüfung im Bereich Low Vision Kriterien ermittelt, die Apps für Kinder und Jugendliche nützlich machen. Die untersuchten Apps stammten aus den Bereichen Lehrmittel, Low-Vision-Abklärung- und Training und Hilfsmittel im Alltag.
Merkmale gut zugänglicher Apps
Apps, die für sehbeeinträchtigte Menschen als besonders zugänglich gelten, zeichnen sich gemäss den Untersuchungen von Bracher durch folgende Merkmale aus:
Klare Struktur und einfache Navigation: Es ist essenziell, dass die Benutzerführung intuitiv und «vorhersehbar» ist. Unterstütz wird das mit klaren und deutlichen Layouts und verständlichen Symbolen.
Saubere Beschriftung aller Betriebselemente: Der Zweck muss erkennbar sein, bevor das Steuerelement aktiviert wird. Die relevanten Bilder müssen mit Alternativtext hinterlegt sein.
Voice-Over und Talk-Back-Unterstützung: Diese Screenreader-Technologien von Apple und Android sind unverzichtbar. Apps müssen vollständig kompatibel sein und alle Elemente zugänglich machen.
Hoher Kontrast und Anpassbarkeit: Die Oberfläche soll zoombar sein. Farben und Schriftgrössen sollten den individuellen Bedürfnissen angepasst werden können. So werden sie unterschiedlichen Sehbedürfnissen gerecht. Gut ist, wenn dies über die Betriebssystemeinstellungen geschehen kann. Gestensteuerung und Sprachbefehle: Diese alternativen Eingabemethoden erleichtern die Nutzung erheblich.
Bracher sagt aber auch, dass sich bei ihrer Überprüfung der Apps auf diese Kriterien herausgestellt habe, dass nicht alle diese Kriterien zwingend gleichzeitig erfüllt sein müssen. «Einige Kriterien erübrigen sich, wenn andere gegeben sind, die denselben Zweck erfüllen. Wenn beispielsweise die dynamische Schriftvergrösserung des Betriebssystems unterstützt wird und die Bedienelemente gross und gut erkennbar sind, muss die Oberfläche nicht zwingend auch noch zoombar sein.» Das wichtigste Kriterium sei grundsätzlich die Veränderbarkeit der Einstellung. «Je nach Sehbehinderung sind nämlich ganz andere Aspekte wichtig.»
Überprüfung auf Tauglichkeit
Bracher bedauert, dass in den jeweiligen App- Stores wenig bis gar keine Informationen über die Barrierefreiheit des Apps zu finden sind. Diese könne man unter Umständen in einschlägigen Foren finden. Die Informationen dort seien aber oft unterschiedlich ergiebig und nicht unbedingt auf Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung ausgerichtet. «Die sicherste – und leider auch aufwendigste – Möglichkeit ist die des Selbstausprobierens. Um sich wirklich ein Bild zu machen und zu prüfen, ob eine App für Kinder und Jugendliche mit einer Sehbeeinträchtigung geeignet ist, führt kein Weg daran vorbei, sich die App herunterzuladen und selber zu erforschen», schreibt Bracher. Sei man unsicher, könne man die App zusätzlich mit einer Simulationsbrille ausprobieren. Aber: «Die daraus gewonnen Erkenntnisse sind mit Vorsicht zu geniessen – Kinder und Jugendliche mit einer Sehbehinderung haben oft ganz andere Strategien als ‹Normalsehende›.»
Es gebe keine Unterschiede zwischen den Betriebssystemen von Apple- oder Android-Geräten zu berücksichtigen, lautet eine weitere Erkenntnis aus der Diplomarbeit. Die Unterschiede bezögen sich in erster Linie auf die Einstellungsmöglichkeiten der Geräte und darauf, dass ganz andere Prinzipien hinter den Betriebssystemen stünden. In Bezug auf die Tauglichkeit ändere sich aber nichts: Die Apps müssen die selben Kriterien erfüllen.
Fünf Fragen an die Verfasserin:
Können Sie ein Beispiel einer besonders gut zugänglichen App nennen und erläutern, warum sie es ist?
Eine App, die in der Schule gerne und häufig genutzt wird, ist GoodNotes. Die App ist einfach und übersichtlich gestaltet und Inhalte können einfach vergrössert werden. Ursprünglich ist GoodNotes als Notizbuch entstanden, inzwischen kann man ganz vieles damit machen, unter anderem PDF bearbeiten und mit Notizen versehen.
Die digitale Welt bewegt sich rasch: Was können Sie über die Halbwertszeit von Apps sagen?
Wie in der Frage bereits erwähnt: Manche – auch gute – Apps verschwinden schnell wieder, zum Beispiel nach iOS-Updates. Die Schüler und Schülerinnen lernen, damit zu leben, entdecken neues und richten sich dabei oft nach ihren Peergroups. Und auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Apps mit sehr vielen Nutzenden, die ständig weiterentwickelt werden und die es schon lange gibt.
Haben Sie Ihre Erkenntnisse aus der Diplomarbeit mit einzelnen Entwicklern geteilt und wie haben diese reagiert?
Nein, das habe ich nicht gemacht. Vom Lehrmittelverlag kam ja die Rückmeldung, dass die Entwicklung eher Richtung Entwicklung von Onlineplattformen als von Apps gehe. So können Nutzer mit Sehbehinderung oder Blindheit die webbasierte Version via Vergrösserungs- oder Vorlesesoftware benutzen.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Community sehbeeinträchtigter Nutzenden bei der Weiterentwicklung barrierefreier Apps?
Das kann ich zu wenig beurteilen. Bei Kindern und Jugendlichen mit Sehbeeinträchtigung beobachte ich, dass diese einfach die gängigen Apps nutzen und dabei über gute Strategien verfügen. Gut möglich, dass einige der gängigen Apps sowieso barrierefrei sind, so beispielsweise WhatsApp.
Die Diplomarbeit mit dem Titel «Apps für Kinder und Jugendliche mit Sehbehinderung» kann in der Bibliothek des SZBLIND ausgeliehen werden (Artikelnummer: PR 234)
Schweizer Accessability Studie 2023
Dass barrierefreie Apps noch nicht die Selbstverständlichkeit sind, die sie sein sollten, bringt auch die Accessability Studie 2023 zu Tage, die von der Stiftung «Zugang für alle» durchgeführt wurde. Bei den Untersuchungen standen Mobile Apps aus 13 Nutzungskategorien im Fokus, die zur Bewältigung des Alltags in der Schweiz genutzt werden. Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie sind: 80 Prozent der Apps haben eine bedingte Zugänglichkeit, mehr als 60 Prozent der Apps sind ungenügend zugänglich. Die Ursachen dieses ernüchternden Resultats sehen die Verfasser der Studie darin, dass es sowohl auf Seiten der Herausgebenden wie auch der Umsetzenden massiv an Bewusstsein für das Thema «Zugänglichkeit» fehle. Testing nach Zugänglichkeit müsse unbedingt früh in einem Projekt eingesetzt und als Standardprozess der Entwicklung integriert werden, so der Ratschlag.
Bei der Untersuchung am besten abgeschnitten hat die App «SBB Inclusive», die «nahezu vollständig barrierefrei umgesetzt» ist, wie es anerkennend heisst. Ungenügend abgeschnitten haben Newsapps wie «Watson News» oder «Teletext App», aber auch die Apps «Klapp», eine Kommunikationslösung für den Informationsaustausch zwischen Schule, Eltern und Schülern, oder «Edubase Reader», die eigentlich verspricht, einen «unkomplizierten Zugang zu Ihrer Bibliothek und digitalen Lerninhalten» zu bieten. Zugang zur vollständigen Studie und den Testresultaten ist über den Link www.as23.access-for-all.ch möglich.
Beratungsangebote des SBV und der Apfelschule
Gut zu wissen: Der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband SBV, die Stiftung Zugang für Alle und die Apfelschule beraten Anbieter von Apps und Websites zur Barrierefreiheit ihrer Produkte.
Der SBV bietet drei verschiedene Workshoppakete zur Entwicklung oder Verbesserung barrierefreier Produkte für Web-Angebote, Mobile Apps oder für weitere Dienstleistungen an: Der Workshop «Standortbestimmung» richtet sich an Kunden, die eine bestimmte Online-Dienstleistung im direkten Austausch auf ihre Barrierefreiheit überprüfen lassen wollen. Beim «All in one» werden im Vorfeld die vom Kunden definierten Produkte durch die Fachpersonen des SBV getestet. Damit kann im Workshop direkt auf bestehende Probleme hingewiesen werden. Inbegriffen ist bei diesem Paket auch eine Einführung in die Thematik anhand praktischer Beispiele. Diese entfällt beim Paket «Produktetest», das ein reines Beratungs- und Testmodul ist.
Die Apfelschule bietet ebenfalls drei Formate an, mit Hilfe derer Firmen einem barrierefreien Produkt näher kommen. Im Rahmen der Standortbestimmung wird ein Accessability Schnelltest angeboten, nach welcher alle Rückmeldungen zu notwendigen Massnahmen vorliegen, um das digitale Medium für sehbehinderte und blinde Menschen zu optimieren. Mit dem Expertentest, einem professionellen Test der Experten der Apfelschule erhält die Auftraggeberschaft eine qualifizierte, schriftliche Analyse mit Lösungsansätzen und Empfehlungen zu den als nächstes notwendigen Massnahmen. Via das Customer Panel prüfen Nutzerinnen und Nutzer ein Produkt auf «Herz und Nieren». Das daraus resultierende Feedback ist differenziert, breit abgestützt und umfassend – aus allen Schichten von Nutzergruppen.
Die Stiftung «Zugang für alle» bietet Testings und Zertifizierungen von Websites und Apps an. Im Ad-hoc-Testing (Live-Testing) zeigen Expertinnen und Experten auf, wie es ist, wenn jemand mit assistierenden Technologien auf der Website surft oder Apps nutzt. Mit der Accessibility Review erhalten Interessenten einen ausführlichen Bericht und eine tabellarische Befundliste zur Barrierefreiheit ihrer Apps und Websites. Das Accessibility Audit ist die vollständige Prüfung der Barrierefreiheit von Websites, Webapplikationen und Mobile Apps nach WCAG. Der Quicktest prüft eine Website oder eine mobile App summarisch daraufhin, wie barrierefrei nutzbar sie insgesamt ist.