Wenn die Technik unnötig behindert
Bei den Haushaltsgeräten ist Barrierefreiheit Mangelware
Dreh- und Druckknöpfe, Kipp- und Schiebeschalter werden immer seltener. Sensortasten und Touchscreens hingegen sind auf dem Vormarsch. Mit der Folge, dass immer mehr Geräte der Haushalts- und Unterhaltungselektronik für blinde, seh- und hörsehbehinderte Menschen nicht mehr bedienbar sind. Die Arbeitsgruppe „Barrierefreie Haushaltsgeräte“ will auf verschiedenen Ebenen Abhilfe schaffen.
Von Ann-Katrin Gässlein
Traditionelle mechanische Bedienelemente wie Dreh- und Druckknöpfe, Kipp- und Schiebeschalter waren mit allen Sinnen wahrnehmbar. Man konnte sie mit Händen und Augen leicht finden, beim Einstellen hörte man sie sich drehen und einrasten und anhand ihrer Stellung und dank der Beschriftung und Skalen liessen sich Schaltzustände taktil und visuell leicht erkennen. Das ist heute nicht mehr der Fall: Moderne Sensortasten, Menüs und berührungsempfindliche Flächen bzw. Touchscreens setzen allein auf den Sehsinn. Dadurch dass sie ohne Mechanik auskommen, entsteht weniger Abnutzung, was zu einer längeren Lebensdauer führt. Doch Drehräder ohne mechanischen Anschlag und Endlos-Menüs sind für blinde und sehbehinderte Menschen unzugänglich.
Es ist ärgerlich, wenn Technik, die in so elementaren Lebensbereichen wie Wäschepflege, Kommunikation und Nahrungszubereitung eingesetzt wird und mangels Bedienbarkeit behindert statt zu helfen. Das schränkt die Möglichkeiten der selbstständigen Lebensweise unnötigerweise ein. Vereinzelt bedienbare Geräte kommen immer mehr in die Minderzahl. In der Schweiz verschärft sich das Problem insofern, dass etwa 56 Prozent der Bevölkerung in Mietwohnungen lebt. Vermieter installieren aus ökonomischen Gründen oft günstige Geräte. Diese sind in den meisten Fällen für blinde, seh- und hörsehbehinderte Menschen schwierig oder gar nicht zu bedienen.
„Design für alle“ und „Smart Home“
Dieses Problem ist seit längerem bekannt und wird auch auf internationaler Ebene, zum Beispiel auf Baufachmessen oder der Internationalen Funkausstellung IFA in Berlin intensiv diskutiert. Mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband DBSV und dem Royal National Institute of Blind People RNIB in Grossbritannien steht die Arbeitsgruppe „Barrierefreie Haushaltsgeräte“ in engem Austausch. Es gibt durchaus Lösungsansätze wie die Idee des „Design für Alle“: Dahinter steht das Ziel, Produkte, Dienstleistungen, Architektur und Infrastrukturen so zu gestalten, dass sie nicht einfach funktional und dafür ästhetisch wenig attraktiv werden sondern für alle Menschen – unabhängig vom kulturellen, gesundheitlichen oder erfahrungsbezogenen Hintergrund – leicht und komfortabel sind. Oder auch „Smart Home. Internet of things“: Dies meint einen kabellosen Zugang zu Haushaltsgeräten. Es geht darum, Geräte im Heimbereich primär von unterwegs aus zu steuern, zum Beispiel durch Apps über iOs oder Android. Natürlich muss bei solchen Entwicklungen immer Sicherheit an erster Stelle stehen. Doch darüber hinaus hat „Smart Home“ viel Potential: Insofern die Haushaltsgeräte über die Option „Wireless“ eingestellt werden können, sind die bisher verfügbaren Apps für blinde und sehbehinderte Menschen bedienbar. Es bedeutet aber auch, dass die Schnittstellen der Geräte geöffnet werden müssen – ein Schritt, den die Hersteller scheuen, weil sie Manipulationen an den Geräten befürchten.
Es reicht aber nicht, die Hoffnung allein auf Technologien der Zukunft zu setzen. Der aktuelle IST-Zustand in der Gerätebedienung mit all seinen Schwierigkeiten und Problematiken muss aufgezeigt werden. Die Arbeitsgruppe verfolgt daher folgende Fernziele:
- In der Schweiz müssen Weisswaren für blinde, sehbehinderte und taubblinde Menschen alltagstauglich, einfach und intuitiv bedienbar sein. Ein- und Ausgaben sowie die Nullstellung müssen akustisch oder haptisch überprüfbar sein. Touchscreens und Kochfelder innerhalb eines Herdes müssen taktil erkennbar, resp. abgrenzbar sein.
- Haushaltsgeräte sollen in Zukunft weiterhin netzunabhängig funktionieren, d.h. die Einstellung muss zum Beispiel weiterhin manuell möglich bleiben
- Bei netzabhängigen Geräten müssen adaptierte Hardware- und Softwarelösungen angeboten werden, die Informationen an barrierefreie Geräte übermitteln.
- Barrierefreiheit ist auch Informationssache: Hersteller müssen in ihren Katalogen und Prospekten zielgruppenspezifisch über die Zugänglichkeit der Geräte für Menschen mit Einschränkungen informieren. Das Personal in Fachgeschäften muss sensibilisiert und geschult werden. Warentests müssen den Aspekt der Barrierefreiheit berücksichtigen. Auch Bedienungsanleitungen und Handbücher müssen in einem barrierefreien Format vorliegen.
- Sehbehinderte und blinde Menschen müssen jedes Elektrogerät selbstständig in Betrieb und die notwendigen Grundeinstellungen ohne fremde Hilfe vornehmen können.
Konkrete Massnahmen angedacht
Als konkrete Schritte ist die Arbeitsgruppe „Barrierefreie Haushaltsgeräte“ daran, in den kommenden Monaten und Jahren über die Interessenvertretung des (Seh-)Behindertenwesens für eine stärkere Beachtung der EN-Norm „Design für alle“ zu kämpfen. Im Moment hat die EN-Norm lediglich den Charakter einer „technical specification“, ist also eine Empfehlung, kein Gesetz – dieses würde die Hersteller mehr in Zugzwang bringen. Für die mechanische Anpassung bereits bestehender, nicht-barrierefreier Haushaltsgeräte ist die Arbeitsgruppe mit Firmen wie Miele im Gespräch, um Positionskreuze oder Schablonen anzubringen – was aber immer nur die zweitbeste Lösung sein kann. Weiter sucht die Arbeitsgruppe den Kontakt zu Immobilienverwaltungen und dem Schweizerischen Hauseigentümerverband, um auf das Anliegen der barrierefreien Haushaltsgeräte aufmerksam zu machen. Ein heikler Punkt sind die Kosten für Anpassungen: Das Bundesamt für Sozialversicherungen BSV und die kantonalen IV-Stellen tun sich schwer, Gelder für individuelle Anpassungen zu sprechen. Im Fall einer notwendigen Neuanschaffung eines Geräts für eine blinde oder sehbehinderte Mieterin entstehen auch Kosten für den Ein- und Ausbau. Im Moment haben Antragssteller kaum eine Chance auf eine Kostengutsprache eines neuen Geräts. Entscheidungen des Eidgenössischen Verwaltungsgerichts stehen aus.
Es gibt also noch eine Menge zu tun.