Was braucht das Sehbehindertenwesen der Zukunft?
Diese Frage stellt die Redaktion des tactuel in den kommenden Ausgaben jeweils einem Vertreter einer Organisation des Sehbehindertenwesens.
Marie-Paule Christiaen ist Ergotherapeutin mit Spezialisierung auf Low Vision und Orientierung und Mobilität, Erwachsenenbildnerin (Msc. ÉDA) und Projektleiterin am Centre de Compétences en Accessibility (CCA), einer Dienstleistung der Association for the Good of the Blind and Visually Impaired in Genf (ABA).
Meine Zukunftsvision?
Zugänglichkeit für alle und Nutzung von Synergien zwischen spezialisierten Fachpersonen und blinden oder sehbehinderten Menschen.
Universelles Design und Zugang für alle fördern Barrierefreiheit
Technologische Entwicklungen verändern Gewohnheiten. In der Vergangenheit mussten für Personen mit Sehbehinderung bestehende Geräte angepasst und spezifische Schnittstellen hinzugefügt werden, was sowohl aufwändig als auch kostspielig war.
Mit der Einführung des 2004 in Kraft getretenen Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) und vergleichbaren Gesetzen im Ausland fand ein Paradigmenwechsel statt, der auf dem Prinzip „Zugang für alle“ beruht.
Informations- und Kommunikationstechnologien
Heute sind Hörbücher oder Fahrpläne für öffentliche Verkehrsmittel auf dem Smartphone verfügbar.
In naher Zukunft werden die alternden Babyboomer, wenn die Sehkraft nachlässt, bereits mit vernetzten Produkten vertraut sein. Die Aufgabe der Spezialisten wird es sein, den Nutzern die bereits in ihre Geräte integrierten Funktionalitäten und ihre Handhabung näher zu bringen. So erlebt die betroffene Person eine gewisse Kontinuität.
Die weit verbreitete Verwendung von Smartphones und der Heimautomatisierung mit Sprachschnittstellen, zeigt, dass es ein Kommunikationsmittel für alle gibt, ohne Zugeständnisse an Funktionalität und Ästhetik.
Integration in der Stadt
Es ist wichtig, die Integration im städtischen Leben zu fördern, insbesondere durch eine Verbesserung der Mobilität und des Zugangs zu öffentlichen oder kulturellen Einrichtungen für blinde und sehbehinderte Menschen.
Baunormen haben ihre Berechtigung, doch sind sie schwierig umzusetzen, da ihre Auslegung stets zu Diskussionen führt.
Leider wird Barrierefreiheit immer noch vorwiegend aus der Perspektive von Menschen im Rollstuhl mit eingeschränkter Mobilität betrachtet. Die Bedürfnisse im Zusammenhang mit Sehbehinderungen werden noch zu oft zweitranging behandelt. Die zuständigen Stellen müssen daher über entsprechendes Fachwissen verfügen und dieses propagieren, damit die relevanten Bedürfnisse im Vorfeld von Projekten berücksichtigt und einbezogen werden.
Das Accessibility Competence Center (CCA) der ABA kann auf Anfragen aller beteiligten Akteure eingehen, sei dies im Bereich der physischen Umwelt oder in den Bereichen Ausbildung oder digitale Zugänglichkeit. Der Mehrwert dieser von ABA angebotenen Dienstleistung besteht darin, dass auf das Wissen von Menschen zurückgegriffen werden kann, die täglich mit Blindheit oder Sehbehinderung konfrontiert sind und bereit sind, ihre Erfahrungen weiterzugeben.