Im Frühjahr 2020, als die Bevölkerung aufgrund des Coronavirus grosse Angst davor hatte, in ein Spital zu gehen, beschloss die Augenklinik Jules-Gonin, eine telefonische Beratungshotline einzurichten, über die die Patient/-innen gegebenenfalls an die Notaufnahme verwiesen werden können. Angesichts der nach wie vor hohen Nachfrage wird diese telemedizinische Dienstleistung weiterhin angeboten, ersetzt aber natürlich nicht den Besuch beim Augenarzt oder der Augenärztin.

Von Dr. François Thommen, Co-Leiter der Poliklinik und der Notaufnahme der Augenklinik Jules-Gonin in Lausanne

Anfang 2020 sah sich die ganze Welt mit einer noch nie dagewesenen Situation konfrontiert: Eine globale Pandemie, verursacht durch ein neues Coronavirus (Covid-19), stellte sämtliche Pläne in allen Branchen auf den Kopf. Auch für die Augenklinik Jules-Gonin sowie ihre Patientinnen und Patienten war die Situation eine grosse Herausforderung. Aufgrund des Bundesratsbeschlusses vom März 2020 sah sich die Klinik gezwungen, alle nicht dringenden Konsultationen und Eingriffe zu verschieben.

Von einem Tag auf den anderen hatte die Klinik praktisch keine Patientinnen und Patienten mehr. Ein Grossteil der Bevölkerung hatte panische Angst vor diesem bisher unbekannten Virus, und viele trauten sich selbst bei medizinischen Notfällen nicht mehr, ein Spital aufzusuchen. Aus dieser Situation heraus entstand die Idee, eine telefonische Beratungshotline einzurichten, über die die Patient/-innen mit einem Augenarzt oder einer Augenärztin in Kontakt treten können, um die Notwendigkeit einer Konsultation sowie deren Dringlichkeit festzustellen.

Es war von vornherein klar, dass eine solche Plattform – insbesondere im Bereich der Augenheilkunde, wo gründliche Untersuchungen mit speziellen Hilfsmitteln wie der Spaltlampe erforderlich sind – den Arztbesuch nicht ersetzen kann. Darüber hinaus ist es äusserst schwierig und nur selten möglich, anhand der Symptombeschreibung von Patientinnen oder Patienten eine genaue augenärztliche Diagnose zu stellen.

Mit dieser Hotline sollte in erster Linie der Kontakt zu den Patientinnen und Patienten aufrechterhalten werden, wenn eine geplante Kontrolluntersuchung nicht möglich war. Ein weiteres Ziel bestand darin, die Spitzen in der Notaufnahme zu «glätten», das heisst, die Konsultationen bestmöglich über den Tag zu verteilen und so zu vermeiden, dass sich zu viele Personen gleichzeitig in den Warteräumen aufhalten. Nur so liessen sich die zur Eindämmung des Virus zwingend notwendigen Social-Distancing-Massnahmen umsetzen. Dank diesem Vorgehen konnten eine zu hohe Frequentierung und Wartezeiten, die zu unerwünschten Patientenansammlungen geführt hätten, vermieden oder auf ein Minimum reduziert werden.

Die Hotline dient folglich vor allem der Beratung und gegebenenfalls der Weiterleitung an die Notaufnahme.

An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass in der Augenheilkunde viele Patientinnen, insbesondere aufgrund ihres Alters, der Gruppe der sogenannt Risikopatienten angehören. Es war daher angezeigt, alles daran zu setzen, um diese Gruppe zu schützen.

Seit Einführung der telefonischen Beratungshotline im Spital ist die Zahl der täglichen Anrufe nicht zurückgegangen. Das zeugt von der grossen Beliebtheit dieser Dienstleistung in der Bevölkerung, und wir haben uns daher entschlossen, diese mithilfe unserer erfahrensten Assistenzärztinnen und -ärzte weiterhin zur Verfügung zu stellen. Damit bietet die Augenklinik in Lausanne nach wie vor eine umfassende Patientenversorgung, inklusive kürzerer durchschnittlicher Wartezeiten in der Notaufnahme und einer positiveren Patientenerfahrung. Diese Remote-Lösung wird laufend evaluiert und verbessert, um Fehleinschätzungen der medizinischen Situation und damit verbundene Verzögerungen bei der Versorgung so gut wie möglich zu vermeiden.

Gleichzeitig wurden seit Beginn der Gesundheitskrise mehrere Programme zur Verbesserung des virtuellen Austauschs mit den Patientinnen und den Fachkolleginnen lanciert und deren Ausbau hat sich zwischenzeitlich auch beschleunigt. Während der Pandemie wuchs in der breiten Öffentlichkeit und unter den Fachleuten auch die allgemeine Akzeptanz für solche Hilfsmittel, was deren Einführung erleichtert.

Nachfolgend einige Beispiele:

  • Aufschaltung des Portals dieaugenderkinder.org, auf dem Eltern und auf Kleinkinder spezialisierte Fachpersonen interaktiv über verschiedene Augenprobleme bei Kindern und einfache Möglichkeiten für deren Erkennung informiert werden.
  • Einführung einer Online-Anästhesiesprechstunde, die auf der vom Genfer Universitätsspital entwickelten Lösung doctor@home basiert. Diese bietet vor allem unseren weiter entfernt wohnenden oder gefährdeten Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, vor ihrem Eingriff online ein rund dreissigminütiges Gespräch mit einem/einer unserer Anästhesist/-innen zu führen. Im Zuge einer solchen Konsultation werden zuerst die für die sichere Durchführung einer späteren Anästhesie, insbesondere einer Vollnarkose, notwendigen medizinischen Informationen eingeholt. Die Patientin wird aber auch über den Ablauf der Narkose aufgeklärt. Selbstverständlich werden die ärztlichen Untersuchungen wie das Abhören von Herz und Lunge oder die Evaluation der Intubationskriterien am Tag der Operation im Spital durchgeführt. Dasselbe gilt für die Unterzeichnung des Formulars zur Patientenaufklärung und -einwilligung.
  • Weiterführen von Lehrgängen in Form von Fernunterricht. Diese finden zum Teil auch in einer Mischung aus Fern- und Präsenzunterricht statt. Die Augenklinik Jules-Gonin musste in seiner Eigenschaft als Zentrum für prä- und postgraduale Weiterbildung hinsichtlich der Durchführung von Weiterbildungsmodulen über die Bücher gehen. Mittlerweile werden bereits seit einigen Monaten Webinare angeboten, die auch nach einer Lockerung der Hygienebestimmungen weiter stattfinden dürften. Über diese Art der Wissensvermittlung lässt sich der Kreis der Teilnehmenden erheblich erweitern.
  • Ein anderes Vorzeigeprojekt, das sich derzeit noch in der Entwicklungsphase befindet und im Laufe des Jahres lanciert werden soll, ist die Plattform SEE (Swiss Eye Expertise). Diese IT-Plattform wird höchsten Sicherheitsanforderungen gerecht und entstand in Zusammenarbeit mit zahlreichen akademischen, technischen und wissenschaftlichen Partnern. Sie ermöglicht es Augenärztinnen und -ärzten, medizinisch-ophthalmologische Bilder zu übermitteln und den Rat anderer Fachkolleginnen und -kollegen einzuholen. Darüber hinaus erhalten Forschende damit eine einzigartige Möglichkeit, mithilfe von künstlicher Intelligenz über anonymisierte Datenbanken die für die Entwicklung von Behandlungsalgorithmen benötigten Daten zu vervielfachen. Die Patientinnen und Patienten können die Nutzung ihrer persönlichen Daten individuell steuern.

Schon anhand dieser Beispiele zeigt sich, wie sich die medizinische Praxis verändert. Die Möglichkeit, «auf Distanz nah dran» zu sein, wird zentral. Diese neuen Hilfsmittel dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei der Tätigkeit des Augenarztes oder der Augenärztin weiterhin vor allem der Mensch im Mittelpunkt steht und ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis für eine gute Betreuung des Menschen in seiner Ganzheit unerlässlich ist.

Mein Dank geht an Frau Muriel Faienza und Prof. Thomas Wolfensberger für das sorgfältige Korrekturlesen, ihre Korrekturen und Anmerkungen.