Onlineshopping für alle?
Nein, denn die aktuelle Schweizer Studie zur Barrierefreiheit von Onlineshops stellt fest: Nur 10 von 41 Onlineshops sind auch für Menschen mit Behinderung gut bedienbar. Die grössten Hürden für Menschen mit Sehbehinderung: Inhalte werden vom Screenreader nicht gelesen, die Navigation ohne Maus ist nicht möglich oder Alternativtexte sind nicht vorhanden.
Von Nina Hug
Onlineshopping hat sich zur Selbstverständlichkeit entwickeltUmso wichtiger ist es, dass alle Menschen in gleichem Mass an diesen digitalen Angeboten teilhaben und ihre Einkäufe selbständig online erledigen können. Die Stiftung «Zugang für alle» testete von Januar bis März 2020 41 Onlineshops privater Anbieter und solche der öffentlichen Verwaltung sowie bundesnaher Betriebe.
Mit 10 von 41 getesteten Onlineshops sind allerdings nur knapp ein Viertel für Menschen mit Behinderungen gut bis sehr gut nutzbar. 17 Onlineshops sind in Teilen bedienbar. Sie weisen einige Barrieren auf, die in Einzelfällen so hoch sind, dass sie einen erfolgreichen Einkauf im Web verunmöglichen. 14 Shops müssen als nicht zugänglich eingestuft werden: Sie verletzen grundlegende Regeln der Barrierefreiheit mehrfach und auf schwerwiegende Weise.
Wie wurde getestet?
Im Rahmen der Tests wurde ein standardisierter Kaufprozess durchgeführt: Die Accessibility-Expertinnen und -Experten kauften im Onlineshop einen Artikel, der typisch für diesen Shop ist, beispielsweise ein Buch im Online-Buchshop. Für die Onlineshops der öffentlichen Hand wurden alltagsrelevante Beispiele der öffentlichen Verwaltung und bundesnaher Betriebe wie beispielsweise der Kauf einer Parkkarte oder eines Sportabos gewählt. In beiden Typen von Onlineshops wurden auch die eingebundenen Zahlungslösungen als integraler Bestandteil eines Einkaufs im Web mitgetestet. Jeder Onlineshop wurde von mindestens zwei Expertinnen bzw. Experten unabhängig voneinander beurteilt. Eine der beiden Personen hat jeweils selbst eine Behinderung. Die Prüfung basierte dabei auf den international anerkannten Richtlinien für barrierefreie Webinhalte WCAG 2.1.
Für jeden getesteten Shop wurde ein Accessibility-Profil erstellt. Dieses setzt sich aus zwölf thematisch relevanten Accessibility-Kategorien zusammen, direkt basierend auf WCAG-Anforderungsbereichen. Diese erlauben Rückschlüsse darauf, wo die Stärken und Schwächen der Shops bezüglich Barrierefreiheit konkret liegen.
Wo der Handlungsbedarf am grössten ist
Der grösste Handlungsbedarf ergab sich dabei in den folgenden Bereichen:
- Hilfestellung bei Interaktionen: 36 von 41 Shops sind in diesem Bereich ungenügend. Pflichtfelder sind für assistierende Technologien wie Bildschirmvorleser (Screenreader) nicht als solche gekennzeichnet oder Formulareingaben mit rechtlichen Folgen können damit nicht überprüft, geändert oder gelöscht werden.
- Für Multimediainhalte wie z.B. Videos enthalten keine Transkriptionen respektive Audiodeskriptionen oder synchrone Untertitel.
- Mehr als die Hälfte der getesteten Onlineshops weist Verbesserungsbedarf im Bereich Grafiken auf: Abbildungen haben keinen Alternativtext oder verlinkte Grafiken geben nicht an, wohin der Link führt.
- Syntax/Kompatibilität: Häufig bleibt in einem Webauftritt unklar, um welche Art von Bedienelement es sich handelt und wie es benutzt wird. Eine Registerkarte wird beispielsweise nur als Link angegeben, so dass eine blinde Person nicht erfährt, dass damit der nachfolgende Inhalt gesteuert wird, oder es wird nicht vorgelesen, dass Hauptfilter aufklappbar sind und weitere Unterkategorien aufweisen.
Testsieger und Verlierer
Von den 41 geprüften Onlineshops erreicht mit dem Onlineshop der Stadt Bern für Besucherparkkarten nur ein einziger Shop die volle Punktzahl von 5 Punkten. Der Kauf einer Parkkarte ist hier für Menschen mit Behinderungen einfach und problemlos zu tätigen. Weitere neun Shops erreichen mit 4.5 oder 4 Punkten ein gutes bis zufriedenstellendes Ergebnis. Diese Onlineshops sind für Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen gut benutzbar, auch wenn keine vollständige Erfüllung der WCAG-2.1-Richtlinien gegeben ist. So erzielt zum Beispiel der Webauftritt von Swiss International Airlines 4.5 Punkte. Die Seiten der Swiss sind korrekt strukturiert, erfüllen die Kontrastanforderungen und sie lassen sich sowohl mit der Tastatur sowie mit einem Screenreader problemlos bedienen.
Ikea ist ein Shop, der mit 4 erzielten Punkten in der Gesamtwertung insgesamt ebenfalls gut funktioniert und für Menschen mit Sehbehinderungen und Blindheit wenige Hindernisse aufweist. Die Suche nach einem Produkt gestaltet sich mit assistierenden Technologien problemlos und die Suchresultate lassen sich gut filtern. Ein Wermutstropfen sind die barrierebehafteten PDF-Dateien (Montageanleitungen u.ä.). Der Screenreader bleibt beim Aufrufen eines solchen Dokuments stumm
Die 17 Onlineshops mit 3.5 oder 3 Punkten sind in Teilen bedienbar, weisen aber einige Hindernisse auf. Teilweise sind die Barrieren so hoch, dass ein Kaufabschluss nur unter erschwerten Bedingungen oder gar nicht möglich ist. Der Swisscom-Shop ist ein Beispiel dafür. Ein sogenanntes Captcha, eine Aufgabe zur Unterscheidung von Mensch und Maschine verhindert, dass Menschen, die einen Screenreader nutzen, einen Kauf tätigen können. Globus ist ebenfalls ein Onlineshop, der für Menschen mit Sehbehinderungen mehrere Barrieren aufweist: Beispielsweise ist bei der Auswahl eines Kleidungsstücks das Filtern nach einer bestimmten Farbe schwierig, denn es stehen nur bunte Quadrate als Filtermöglichkeit zur Auswahl, die keinen Alternativtext haben. So lässt sich diese Auswahl nicht treffen und folglich das Produkt nicht in den Warenkorb legen.
14 Onlineshops bzw. 34% schliessen Menschen mit einer Behinderung von einer Nutzung aus. Onlineshops, die 2.5 oder weniger Punkte erreichen, verletzen grundlegende Regeln der Barrierefreiheit wiederholt auf schwerwiegende Weise. Der Onlineshop Digitec gehört als Testobjekt mit 2.5 Punkten in diese Gruppe. Bei der Registrierung sind dort zum Beispiel die Auswahllisten für Menschen, die auf einen Screenreader angewiesen sind, nicht bedienbar. Ticketcorner ist mit zwei Punkten in der Gesamtwertung ein weiterer Onlineshop mit einer grossen Zahl an Hindernissen. Hier sind sehr viele Texte nur als Grafiken eingebunden. So entgehen Hinweise auf das nächste Festival oder auf Onlinebuchungen für Skitickets allen, die Ticketcorner mit einem Screenreader besuchen. Auch im High Contrast Mode gibt es Schwierigkeiten: Die grünen Quadrate, die anzeigen, ob ein Anlass buchbar ist oder nicht, sind nicht sichtbar und das Druckersymbol (Ticket drucken) wird ebenfalls nicht angezeigt.
Auch Menschen ohne Behinderung würden profitieren
Ein offensichtlich stark vernachlässigter Bereich bei fast allen Onlineshops ist die Hilfestellung bei Interaktionen; 36 der 41 getesteten Shops erzielen in diesem Bereich 2.5 oder weniger Punkte. Bei Airbnb fehlen beispielsweise die Beschriftungen der Formularfelder im Registrierungs- und im Anmeldeformular. Es sind nur Platzhalter vorhanden. Ausserdem sind die Nutzereingaben vor Abschluss einer Buchung nicht veränderbar. Wer sich beim Erstellen des eigenen Profils vertippt hat, kann dies im Buchungsablauf nicht korrigieren. Dieses Beispiel zeigt, dass die Anforderungen der Barrierefreiheit vermutlich auch von vielen Menschen ohne Behinderung geschätzt würden.