Neues Lernen in Zeiten der Pandemie
Rasante Umstellung auf online-Unterricht im SZBLIND
In der Corona-Pandemie wechselte der SZBLIND einen grossen Teil seines Kursangebots vom Präsenz- auf digitalen Online-Unterricht. Eine gewaltige Herausforderung für Kursleitende, Teilnehmende und das SZBLIND-Team Bildung und Forschung.
Von Andrea Eschbach und Silvia Kern, SZBLIND
Wie können wir den Unterricht digital gestalten? Diese Frage stand Anfang vergangenen Jahres unvermittelt im Raum. Corona verschaffte dem Fachbereich Bildung und Forschung einen grossen Digitalisierungsschub.
Um sehbehinderte, blinde, hörsehbehinderte und taubblinde Menschen kompetent zu begleiten und zu unterstützen, braucht es Know-how und permanente Weiterbildung. Der SZBLIND bietet Fachpersonen des Sehbehindertenwesens daher über 60 Weiterbildungen und Lehrgänge pro Jahr an – von Einführungskursen zu Grundlagenwissen des Sehbehindertenwesens bis zur Eidgenössischen Höheren Fachprüfung Reha-Experte/in.
Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 war die Unsicherheit im Kurswesen gross: Änderungen im Kursprogramm ergaben sich in letzter Minute, da Kursleitende krank oder in Quarantäne waren. Kursräume und Hotels mussten kurzfristig abgesagt werden. Dazu kamen Abmeldungen von Teilnehmenden aus Krankheitsgründen oder aus Angst vor Ansteckung mit COVID-19. Ein grosser Mehraufwand für alle Beteiligten. „Wir haben deshalb früh eine Prüfung begonnen, welche unserer Kurse auch online durchgeführt werden könnten“, sagt Silvia Kern, Fachperson Bildung Deutschschweiz. Denn Verschiebungen von Kursen auf vermeintlich sicherere Zeiten führten zu einer Ballung von Kursen, welche für die Teilnehmenden und die Kursleitenden bewältigbar bleiben musste.
Eine Chance für die Vermittlung
Die Motivation war gross, Onlinekurse schnell zu erproben. Bereits im Juni 2020 wurde der Kurs „Medizinische Grundlagen von Hörbehinderungen“ online angeboten. Weitere Kurse folgten. Tools und Didaktik, Inhalt und Methodik mussten auf ein Online-Seminar angepasst werden. Schnell stellte sich heraus, dass es bislang noch keine Übersicht gibt, welche Meeting Plattformen barrierefrei zugänglich sind. „Wir haben Erfahrungen mit Zoom, Whereby und Teams gesammelt“, sagt Silvia Kern. Jedes Video-Tool habe Vor- und Nachteile. „Bei Zoom gibt es zum Beispiel eine praktische Dolmetscherfunktion für zweisprachig durchgeführte Kurse. Bei Online-Seminaren sind Gruppenräume wichtig, um eine Teilnehmeraktivität zu ermöglichen“. Diese gibt es beispielsweise beim Tool Whereby nicht.
Technischer Support
„Um Hürden für Teilnehmende wie Kursleitende abzubauen bieten wir jeweils zwei Zeitfenster vor dem Kurs an, während dessen Kursleitende und Teilnehmende das Videotool testen können“. Ebenfalls im Voraus bekommen die Teilnehmenden, da wo nötig, Material wie Dunkelbrillen für praktische Übungen und Simulationsübungen nach Hause geschickt. Deutlich ist, es braucht eine gute Betreuung im Voraus. Auch am Kurstag selbst stehen Silvia Kern und ihre Kolleginnen den Kursleitenden und Teilnehmenden bei technischen Problemen zur Verfügung. „Wir haben den technischen Support bewusst als Dienstleistung des SZBLIND angeboten, damit sich die Kursleitenden ganz auf den Inhalt des Kurses konzentrieren können“.
Das SZBLIND-Team hat sich während der Pandemie viele Kenntnisse und Fertigkeiten zur Vorbereitung und Planung von Online-Seminaren angeeignet. So erarbeitete Silvia Kern Umfragetools, um die Kursauswertungen online durchführen zu können. Und für Gruppenarbeiten erstellt sie – statt der Arbeit mit Pinnwand und Zetteln – virtuelle Pinnwände mit den Tools Miro Board oder Padlet: „Mit diesen Tools kann man kreative Ideen auf einer virtuellen Leinwand festhalten und in Echtzeit zusammenarbeiten. Eine Klasse kann so gleichzeitig an einer Pinnwand arbeiten, sie mit Inhalten füllen, die Einträge kommentieren und gemeinsam darüber diskutieren.“ All dies braucht natürlich seine Zeit: „Einen zweitägigen Präsenzkurs auf online umzustellen, bedeutet für mich zwei Tage zusätzliche Arbeit“, sagt Silvia Kern. Insgesamt wurden im Jahr 2020 13 Kurstage ausschliesslich online umgesetzt. 2 Kurse wurden hybrid umgesetzt, 5 Kurstage online, 5 Kurstage Präsenz. Nur zwei Kurse mit je zwei Kurstagen wurden im Präsenzunterricht geführt.
All diese Erfahrungen und Tests kamen dem Team im zweiten Lockdown zugute. Denn ab Ende Oktober 2020 gab der Bund vor, dass Präsenzunterricht nur erlaubt war, wenn er Teil einer Weiterbildung war, die zu einem anerkannten Zertifikat führt und einen hohen Praxisanteil aufweist. Kurse, die im Präsenzunterricht stattfinden durften, waren zudem mit grossen Einschränkungen versehen. Sie durften nur in Kleingruppen bis max. 15 Teilnehmenden und unter Einhaltung des Schutzkonzeptes durchgeführt werden.
Fantasie ist gefragt
Charly Meyer, Co-Leiter des Kurses „Sensibilisierung für Orientierung und Mobilität O+M“ beim SZBLIND, resümiert: „Man muss bei einem Online-Kurs vieles neu denken, bereit sein, neue technische Möglichkeiten auszuprobieren“. Gerade in seinem Kurs, der einen grossen Praxisanteil aufweist, eine besondere Herausforderung. Wo sonst die Teilnehmenden Führtechniken zu zweit unter Dunkelbrillen üben, musste nun ein neuer Weg gefunden werden. Die Teilnehmenden bekamen den Auftrag, nach dem Kurs die Treppentechnik unter Dunkelbrille zu üben, ein Video davon zu drehen und dieses dem Kursleiter zu senden. „So hatte ich doch eine gewisse Lernzielkontrolle „, sagt Meyer. Dennoch: „Ich kann so natürlich nicht sofort intervenieren bei Fehlern“. Fantasie war gefragt. Statt einem gemeinsamen Mittagessen unter Dunkelbrille gab es beispielsweise die Aufgabe, anhand des virtuell geteilten Bildes eines gedeckten Mittagstischs den anderen Teilnehmenden zu beschreiben, wo sich ein bestimmtes Glas befindet oder auf welcher Position das Gemüse auf dem Teller liegt. „So versuche ich einen Ersatz dafür zu erbringen, was wir im Präsenzunterricht während Corona nicht machen können“.
Eine der grössten Herausforderungen sieht Charly Meyer im Wegfall des direkten Feedbacks. „Im Präsenzunterricht kann ich sofort und unmittelbar eine Beziehung aufbauen, hier muss ich den Umweg über die Technik nehmen“. Zudem spüre man viel weniger, ob alle Teilnehmenden noch motiviert zuhören und zuschauen, oder „ob sich manch einer innerlich ausgeloggt hat“. Auch die Gruppendynamik erleide Einbussen: „Kaffeepausen für den informellen Austausch fallen weg, teilweise kann man dies durch virtuelle Gruppenräume ersetzen.“ Positiv sei aber unter anderem, dass die Anfahrt für alle wegfalle.
Soziales Miteinander gestalten
Auch Sandro Lüthi, Kursleiter des viertägigen Kurses „Smartphone und Tablet Lehrpersonen“ bestätigt, dass die Gruppendynamik leide. „Das Netzwerken, die Pausengespräche in sich zufällig zusammenfindenden Gruppen fehlt“, sagt der sehbehinderte Geschäftsführer der Apfelschule. Interessant findet er jedoch, dass sich nach dem Kurs eine WhatsApp-Gruppe gebildet hat, in der sich nun die Smartphone-Lehrer über ihr Thema austauschen können. Und auch er vermisst das direkte Feedback und die spontanen Reaktionen von seinen Schülerinnen und Schülern, wenn alle das Mikrofon auf stumm geschaltet haben. Als Alternative zum Präsenzunterricht sieht Lüthi dennoch eine grosse Chance für das E-Learning.
„Unsere Präsenzkurse sind sehr praxisorientiert. Aus diesem Grund bin ich positiv überrascht, wie gut die Online-Seminare funktionieren“, erklärt Silvia Kern. „Wir haben gemerkt, dass die Teilnehmenden den sozialen Kontakt vermissen, aber inhaltlich die meisten Lernziele wie in Präsenzkursen erreicht werden können.“ Online-Kurse sind zwar nicht per se besser, aber – abwechslungsreich strukturiert- bieten sie die Möglichkeit zu aktivem und gemeinsamem Lernen.
Die Rückmeldungen der Teilnehmenden waren grösstenteils positiv. Ein angepasster Online-Kurs scheint allemal besser anzukommen als gar keine Weiterbildungsmöglichkeit. Peter Kerpan, Fachverantwortlicher Physiotherapie am TSM Schulzentrum, hat am Online-Seminar „Aspekte verschiedener Fachbereiche im Sehbehindertenwesen“ teilgenommen: „Der Kurs war sehr gut organisiert und perfekt moderiert. Ich habe es sehr geschätzt, dass der Kurs nicht einfach ausfiel.“ Was er vermisst habe? „Schön wäre künftig ein virtueller Raum für den informellen Teil, ein Chatroom für die Pausen zum Austausch untereinander.“.
Silvia Kern gibt einen Ausblick auf die Zukunft von digitalen Lernsequenzen beim SZBLIND: „Wir prüfen derzeit bei allen Kursen, ob sie online durchführbar wären, auch um gegenüber den Teilnehmenden und Kursleitenden eine Planungssicherheit zu gewährleisten.“