Als Alexandra und Robert Öllinger sich kennen lernten, zog sie ihn damit auf, dass er jedes halbe Jahr eine neue Brille verschrieben bekam. Dass er schlecht hörte, konnte er mit einem Hörgerät und dem seit Kindesbeinen antrainierten Lippenlesen ausgleichen. Heute ist Robert Öllinger taubblind. Die Familie meistert den Umgang mit der Behinderung mit viel positiver Energie.

Das Interview führte Nina Hug

Alexandra und Robert Öllinger sitzen auf dem Tandem. Hinten auf dem Tandem ist eine Hundebox befestigt, in der der Blindenführhund sitzt.
Alexandra und Robert Öllinger haben sich ein Tandem für gemeinsame Ausflüge angeschafft. / Foto: Robert Öllinger

Herr Öllinger, wann haben Sie die Diagnose Usher erhalten?

Als wir uns 2006 kennen gelernt haben, hat die Seh- bzw. Hörsehbehinderung keine Rolle gespielt, weil sie noch überhaupt nicht stark ausgeprägt war. Mein Augenarzt hat mir nur jedes halbe Jahr eine neue Brille verschrieben, weil ich einfach nicht auf den nötigen Visus gekommen bin. Weil dieser Arzt immer so lange Wartezeiten hatte, habe ich gewechselt und bin durch Zufall an eine Ärztin geraten, die im Wiener Allgemeinen Krankenhaus / Universitätsklinik in der Ambulanz für Netzhauterkrankungen tätig war. Bei der ersten Untersuchung hatte sie sofort die Verdachtsdiagnose Usher Syndrom gestellt. Das war im Jahr 2016. Es stellte sich heraus, dass ich ein Gesichtsfeld von 30 bzw. 45 Grad hatte und einen Visus von 50%. Das ist dann aber innerhalb von einem Jahr zusammengeschrumpft auf einen Visus 5% und 3 Grad bzw. 5 Grad Gesichtsfeld.

Wie kam es, dass die Hörbehinderung nicht aufgefallen ist im Alltag?

Alexandra: Robert war von Kind an schwerhörig. Dadurch kann er sehr gut Lippenlesen.

Robert: Ohne Lippenbild hätte ich die Schule nicht geschafft. Deshalb habe ich im Gegensatz zu von Geburt an Gehörlosen eine sehr große Trefferrate im Lippenlesen und verstehe sehr viel.

Wie sind Sie mit der rapiden Verschlechterung des Sehens umgegangen?

Alexandra: Wir mussten erst einmal herausfinden, was alles nicht mehr geht, bzw. was wir anders machen müssen. Zum Beispiel bei langen Autofahrten konnte Robert mich nicht mehr ablösen, von einem auf den anderen Tag. Das war natürlich dann für mich eine große Mehrbelastung, weil ich alle Autofahrten übernehmen musste. Weitere Urlaubsreisen absolvieren wir stärker mit der Bahn, bzw. planen wir Pausen und Zwischenstopps ein.

Aber nach dem ersten Schock waren wir schnell soweit, dass wir uns gesagt haben: „Aha, So geht es nicht mehr, aber wie geht es dann?“. So kam dann auch der Blindenführhund ins Spiel, um meinem Mann wieder mehr Freiheit zu geben, damit er nicht von mir und den Kindern abhängig ist und noch immer mobil sein kann.

Robert: Natürlich war das für mich eine Krise. Ich habe in der Zeit meinen Beruf aufgeben müssen. Ich war CEO einer Gesundheits-GmbH der Stadt Wien: Hohe Verantwortung, ständige Erreichbarkeit. Das war einfach zu viel, auch für die Gesundheit. Ich habe nicht bedacht, dass ich mit fast Fünfzig und der Behinderung fast keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt habe. Und dieser Existenzstress hat sicher auch zu der raschen Verschlechterung der Augen und zu dem Hörsturz geführt, mit dem ich mein Resthörvermögen ziemlich zur Gänze eingebüßt habe.

Wie sind Sie aus dieser Krise wieder herausgekommen?

Robert: In der Zeit der Arbeitslosigkeit habe ich von einem Diplomlehrgang Gebärdensprache und Diversity Management gehört. Der hat 10 Monate gedauert und da habe ich mich angemeldet. Das war ein Riesenglück. In der Zeit habe ich 24 Stunden in der Woche Gebärdensprache gelernt. Zudem verfolge ich die Einstellung, dass ich nicht in Selbstmitleid versinken möchte. Für mich war wichtig, dass ich mache, was ich gerne tue. Ich habe ausprobiert, was ich alles machen kann, bzw. wo ich Unterstützung brauche. Zum Beispiel war ich mit Freunden wandern. Der Weg hat sich dann fast zu einem Klettersteig entwickelt, was für meine Freunde noch schlimmer war als für mich, denn ich habe ja den Abgrund nicht mehr gesehen! Es hat auch Vorteile, wenn man nichts mehr sieht (lacht). Gut, das ist abgehakt, das mache ich nie mehr. Eines war mir aber wichtig: Meiner großen Leidenschaft, dem Skifahren, nachzugehen. Das machen wir jetzt seit 5 Jahren wieder miteinander.

Haben Sie Ihre Hobbies aufrechterhalten können miteinander?

Alexandra: Zum großen Teil ja. Was sich verändert hat, sind die Fahrradausflüge mit der Familie. Die haben wir eine Zeit lang gar nicht gemacht. Jetzt haben wir uns ein Paralleltandem angeschafft, aber was wir nicht bedacht haben ist, dass es kein Sportrad ist und nur halb so schnell fährt, wie ein normales Fahrrad. Das ist dann für die Kinder nicht ganz so spannend. Und offroadtauglich ist es auch nicht. Innerhalb von Wien können wir so trotzdem viel unternehmen.

Robert: Wir waren früher oft im Theater. Das geht halt leider nicht mehr. Zu dem Zeitpunkt vor dem Hörsturz hat es noch funktioniert mit der Induktionsanlage, von der der Ton direkt ins Hörgerät kommt. Heute würde ich nur noch verstehen, wenn ich das Lippenbild hätte und das geht natürlich nicht, wenn man nur zwei Meter weit sieht.

Wir gehen nach wie vor viel in Museen, auch weil unser Sohn sehr interessiert ist. Wie viel ich dort sehe, kommt sehr darauf an, wie die Museen gestaltet sind. Ich sehe nur noch sehr wenig Kontraste und wenn es in einem Museum recht dunkel ist, dann sehe ich einfach nichts mehr. Aber trotzdem liebe ich es in Museen zu gehen und das mit meiner Familie zu erleben. Man erlebt es dann einfach ganz anders. In Paris durfte ich dafür einen halben Meter vor die Mona Lisa gehen, hinter die dritte Absperrung, wo sonst niemand mehr hin darf (lacht).

Haben sich Ihre Reiseziele verändert?

Robert: Bezüglich Reiseziel gibt es eigentlich keine Einschränkungen. Das Einzige, was wir beachten müssen, ist, Airline und Hotel anzukündigen, dass ich mit meinem Blindenführhund unterwegs bin. Wir reisen sogar jetzt mehr als vorher, weil ich mir gesagt habe, dass ich so viel wie möglich sehen will, so lange ich noch diesen kleinen Sehrest habe.

Hat sich Ihre Beziehung durch die Behinderung geändert?

Robert: Alexandra ist eine totale Realsitin. Wenn irgendetwas passiert, bleibt sie ganz ruhig und hat sofort 5 Ideen wie man eine Lösung findet. Und als sich mein Sehen so schnell verschlechtert hat, hat sie eigenmächtig nach Blindenführhunden recherchiert, obwohl sie selbst Hunde eigentlich gar nicht mag. Für mich ist es eine Riesenerleichterung zu wissen, da ist jemand, der für mich da ist. So hat das Grundvertrauen zwischen uns durch die Behinderung nochmal wahnsinnig zugenommen.

Alexandra: Wir hätten ganz vieles nicht, wenn die Behinderung nicht da wäre. Wir hätten weder einen Hund (den ich mitleiweile sehr liebe), noch könnten wir Gebärdensprache. Wir haben Dinge gelernt, die man sonst nicht gelernt hätte.

Wie haben denn Ihre Kinder den Seh- und Hörverlust aufgenommen?

Alexandra: Der Grössere ist 13, der findet es sehr praktisch… Wenn der Papa nichts hört und nur wenig sieht, dann kann er weiter Fernsehen oder Telefonieren, denn sobald sich der Papa nur um ein paar Grad wegdreht, sieht und hört ja eh nichts. Auf der anderen Seite leidet er aber auch darunter, dass sein Papa nicht so ist, wie andere Väter sind.

Robert: Der Kleinere hat es im Endeffekt nie anders gekannt. Aber er hat auch starke Angst, dass er selber Usher haben könnte.

Alexandra: Beide Kinder sind sehr gut in der Gebärdensprache. Der Kleinere hat es sogar in der Schule, weil er in einer Inklusionsklasse ist. Und beim Größeren hat die Lehrerin das aufgenommen, um ihn zu stützen, damit er Experte in etwas ist, was die anderen Kinder nicht können. Das hat ihm sehr geholfen.

Sind Sie beide auch manchmal traurig?

Robert: Für mich ist die Behinderung kein Thema. Wenn man mich fragt, bist du behindert, sage ich nein. Die Behinderung ist sicher ein Teil meiner Identität, aber da gibt es noch 48’000 andere Teile von mir. Ich habe eher die Barrieren vor mir, als meine Behinderung gegen mich. Aber es gibt natürlich auch Tage, die gar nicht schön sind. Zum Beispiel, wenn ich mich frage, wie sich die Stimmen meiner Kinder jetzt anhören.

Alexandra: Sei froh, dass du den Stimmbruch des Grösseren nicht hörst (lacht).

Was ist für Sie die größte Umstellung?

Alexandra: Die Behinderung war ja nicht von heute auf morgen da. Es ging schnell, aber langsam genug, um sich damit auseinander zu setzen. Wir haben uns viele Informationen geholt. Aus meiner Sicht die größte Umstellung ist, dass ich viel bewusster kommunizieren muss. Ich kann nicht einfach etwas rufen, sondern ich muss immer vor ihm stehen, ihn antippen, wenn ich kommunizieren möchte.