19. Jahrhundert und Science Fiction

Von Valentin Arens

Zum 200. Geburtstag von Charlotte Brontë hat der Hörverlag dieses Jahr den Klassiker „Jane Eyre“ neu aufgelegt. Die stimmige Hörspiel-Inszenierung des viktorianischen Paraderomans überzeugt mit glänzenden Darstellern und zurückhaltender Musik. Charlotte Brontë schuf mit Jane Eyre den Prototyp einer emanzipierten, selbstbestimmt handelnden und eigensinnigen Protagonistin. Die Geschichte thematisiert aber nicht alleine die Selbstständigkeit der Frau, sondern klagt generell die rigide viktorianische Klassengesellschaft an, indem sie damals übliche Positionen unterläuft.

„Der Fall Jane Eyre“ ist der erste Auftrag von Jasper Ffordes Heldin Thursday Next. Sie ist Geheimagentin und kann leibhaftig in Romane eintauchen. Das ist nötig, denn das Originalmanuskript von Dickens‘ „Martin Chuzzlewitt“ wurde gestohlen und eine Figur aus dem Buch gezerrt und ermordet. Zwar nur eine Nebenfigur, aber sie fehlt fortan in allen je gedruckten Versionen des Romans. Dann entführt der Verbrecher Jane Eyre aus Charlotte Brontës Roman und droht mit dem Verschwinden des ganzen Buches. Ffordes Roman ist mit seiner Mischung aus viktorianischer – und Science-Fiction-Literatur ein witziges Kultbuch des Steampunk.

Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, heisst eigentlich Franz Stefan Griebel und ist einer der populärsten und zugleich polarisierendsten österreichischen Schriftsteller. Ursprünglich aus der bildenden Kunst stammend gewann er 1995 überraschend den Ingeborg-Bachmann-Preis. Der Text war ganz in der Tradition der klassischen Wiener Avantgarde gehalten. 1998 erschien dann der schrille Roman „Böselkraut und Ferdinand“. Zunächst als Kinderkrimi angelegt entwickelt sich die Geschichte zu einer verrückten Persiflage auf die Literatur, die angeblich ein gewisser Karol Alois verfasst haben soll. Lewis Carroll lässt grüssen.

  • Brontë, Charlotte: Jane Eyre. München: Der Hörverlag, 2016. Ausleihe: DS 33061
  • Fforde, Jasper: Thursday Next: Der Fall Jane Eyre. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, 2005. Ausleihe: DS 33131
  • Franzobel: Böselkraut und Ferdinand: Ein Bestseller von Karol Alois. Wien: Zsolnay, 1998. Ausleihe: DS 33327

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Wenn der Autor selbst verschwindet

Alessandro Baricco ist ein umtriebiger Mann: Musikkritiker für diverse Zeitungen und in der eigenen Fernseh-Talk-Show, Gründer einer Schreibschule, Mitglied der Musikgruppe „Air“, Filmemacher, Theaterautor, Autor unzähliger Essays. Berühmt aber ist er für seine Romane, im Speziellen für seinen internationalen Bestseller „Seide“, der auch verfilmt wurde.

In „Seide“ verschwindet das Sujet allmählich aus dem Buch. Konsequenterweise wird dann irgendwann auch der Autor überflüssig. Womit wir bei der Ausgangslage von Mr. Gwyn angelangt sind. Jasper Gwyn ist ein erfolgreicher Autor, der auf einmal beschliesst, keine Bücher mehr zu schreiben. Er tut dies in einem Zeitungsartikel öffentlich kund. Der Artikel im Londoner Guardian enthält 51 weitere Dinge, die er nicht mehr tun will. An erster Stelle: „Artikel für den Guardian schreiben.“ Nummer 31: „sich mit der Hand am Kinn in nachdenklicher Pose fotografieren lassen.“ Gleich zu Beginn des Buches ist jedenfalls „seine glänzende Karriere bereits zu Ende.“ Gwyn beschliesst Kopist zu werden. Während 30 Tagen, vier Stunden am Tag, will er jeweils ein Porträt schreiben, das nur die schriftlich kopierte Person, jedoch nicht die Öffentlichkeit zu lesen kriegt. Als ihn doch jemand verrät, verschwindet er von der Bildfläche, aber er hinterlässt einen Roman, in dem er sich versteckt hält.

  • Baricco, Alessandro: Mr. Gwyn. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2016. Ausleihe: BG 25422