Juan Ruiz sieht mit den Ohren
Die Anwendung der Klicksonar-Technik
Eine blinde Person, die über eine 360-Grad-Sicht der Umgebung verfügt – geht das? Geübte Anwendende der Klicksonar-Technik können durch das Erzeugen eines Klick-Geräusches mit der Zunge ohne grossen Aufwand zu einem dreidimensionalen Abbild eines Raumes kommen – ein unglaublicher Gewinn für die Orientierung und Mobilität sowie für das Lebensgefühl blinder Menschen.
von Nina Hug und Karen Finke
Die Möglichkeiten, die ein gut geschultes Gehör einer blinden Person für die Orientierung bietet, wurden schon früh erkannt und im O&M-Unterricht gefördert. Es wurde geschnalzt, geschnipst, mit dem Langstock getippt – oder auf andere Weise aktiv ein Geräusch erzeugt, um über das Echo Informationen darüber zu erhalten, wo man sich befindet oder wie die Umgebung aufgebaut ist. Als spezifische Technik wird heute Klicksonar gelehrt. Der produzierte Ton, das Klicken, führt zu einem deutlich besseren auditiven Kontrast als andere Geräusche. Klicksonar wird weltweit vor allem mit zwei Namen verbunden: Daniel Kish und Juan Ruiz aus den USA. Beide sind blind und praktizieren das Klicken so selbstverständlich und routiniert, dass sie beim Laufen durch eine Strasse rein durch das Echo erkennen, wo sich Hauseingänge befinden, Zäune enden oder wohin sich Menschen auf ihrem Weg bewegen. Über ihr Gehör haben sie eine 360-Grad-Sicht der Umgebung. Ihre Youtube Filme und die Berichterstattung der Medien über ihre Technik haben zu einem grossen Interesse an Klicksonar geführt und dazu eigetragen, die Akzeptanz von Klicksonar zu erhöhen.
Anleitung durch betroffene Menschen
Dass es blinde Menschen gibt, die Klicksonar anleiten und unterstützen, ist von hoher Bedeutung für den Erfolg der Vermittlung der Technik. Sie können in blinden Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und auch bei Eltern Welten öffnen, wie es sehenden Fachkräften wohl nie gelingen wird. Juan Ruiz selbst sagt, eine sehende Person hätte nie so viel Vertrauen in das «Klicken» bei ihm aufbauen können, wie es sein blinder Lehrer Daniel Kish konnte. Die Anwendung von Klicksonar nachhaltig zu vermitteln, erfordert deshalb Schulungsformate, die blinde Lehrende miteinbeziehen. In mehrtägigen Intensivkursen mit blinden und sehenden Lehrern waren bedeutsame Entwicklungen bei Lernenden erkennbar. Diese Erfolge konnten nur durch ideale Bedingungen erreicht werden, wie Arbeiten in hindernisfreien Turnhallen mit frei zugänglichen Wänden und Ecken und eine spielerische, die freie Bewegung unterstützende Lernsituation. Die Festigung im Alltag erfolgte danach idealerweise durch eine fortlaufende O&M-Schulung, in der das Klicken – in Kombination mit dem Langstock – gezielt für die Orientierung eingesetzt wurde.
Schulung von O&M Fachpersonen
Um solche Angebote zu schaffen, müssen nicht nur blinde Menschen gewonnen werden, die Klicksonar beherrschen und weitergeben wollen, es braucht auch O&M-Fachpersonen, die gezielt für diesen Bereich geschult werden. Für eine zweitägige Schulung von Reha-Fachkräften kam Juan Ruiz im Herbst 2019 in die Schweiz. Zielstrebig, mit schnellen Schritten, durchquert Juan Ruiz auf dem Weg zum Kursort die Menschenmenge an der Tramhaltestelle. Nur wer ganz nah neben ihm läuft, hört das Schnalzen seiner Zunge. Mit dem Echo seiner Klick-Laute scannen seine Ohren die Umgebung und geben die Informationen an sein Gehirn weiter. Juan Ruiz hört, was Sehende sehen, und genauso bewegt er sich als Kursleiter durch die Räumlichkeiten des Kirchgemeindehauses Neumünster in Zürich.
Ein Teller als Übungsgegenstand
Die 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kurses sind in Paaren über das gesamte Gelände verteilt. Sie sollen selber Erfahrungen sammeln, wie Gegenstände das Echo widergeben und erkunden, wo und wie weit weg sich der Übungsgegenstand befindet. Als Übungsgegenstand dient ein Teller. Eine Person unter Dunkelbrille sitzt auf einem Stuhl, die andere steht hinter ihr und hält den Teller in immer neuen Abständen und Winkeln vor ihr Gesicht. Durch das Erzeugen der Klicklaute, soll die sitzende Person dann nach dem Teller greifen, wenn dieser direkt vor ihrer Nase ist. Den einen gelingt das spielend, andere haben mehr Mühe. Juan Ruiz bewegt sich durch die Räume und ortet die Paare. An einem Ende des Seminarraums bleibt er stehen, hört einem Teilnehmerpaar zu, das rund acht Meter entfernt ist. «Ich höre einfach nicht, wann der Teller wo ist», beklagt sich die Teilnehmerin. Ruiz antwortet: «Versuche es weiter und hör auf darüber nachzudenken, wo er sich befindet, reagiere intuitiv ». Es wird weiter geklickt und probiert. Auf einmal ruft Ruiz: «Jetzt ist er vor deiner Nase». Und tatsächlich, der Teller lässt sich greifen. Aus mehreren Metern Entfernung erkannte Juan Ruiz akustisch, wie der Teller vor der Person positioniert war.
Was für Sehende schier unmöglich erscheint, ist für Juan Ruiz Routine und war es schon immer. «Als kleiner Junge hatte ich Freunde, die Fahrrad fuhren. Ich wollte das auch probieren und lernte fahren. Um nicht in Gegenstände zu fahren, merkte ich mir die unterschiedliche Beschaffenheit des Bodens und machte Geräusche, um die Entfernung der Hecke und der Bäume auf dem Schulhof zu schätzen. Für mich war es, als könne ich sehen. Wie sonst sollte ich all den Hindernissen ausweichen?». Mit dieser und anderen Geschichten erklärt Ruiz im ersten Teil seiner Schulung, wie sich blinde Kinder intuitiv Geräusche zunutze machen. Er rät darum auch, mit ihnen schon früh ein Echolokalisationstraining zu starten. Seine jüngsten Klienten sind acht Monate alt. «Blinde Kinder tapsen mit den Füssen, weil sie die Geräusche brauchen, um sich fortzubewegen», erklärt er. Ein guter Klick ist kurz und scharf Das bei der Klicksonar-Technik verwendete Geräusch jedoch wird mit dem Mund erzeugt. Dies ist von Vorteil, weil das Klicken dort entsteht, wo die Ohren und das weiterverarbeitende Organ, nämlich das Hirn sind. Ein guter Klick ist kurz und scharf. «Wenn man beim Klicken lächelt, ist das Geräusch schärfer», sagt er und witzelt: «Wenn ihr also denkt, der Juan ist die ganze Zeit glücklich, dann ist das nur dem Klicken geschuldet». Dabei komme es nicht auf die Lautstärke des Klicks an. Manche Erwachsene hätten Angst, klickend durch die Gegend zu laufen. Aber leise, präzise Klicks reichten aus, um Gegenstände in grosser Entfernung anzugeben. «Der Kopf darf beim Klicken nicht auf den Boden zeigen», weist Ruiz die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an und schickt sie für die nächste Übung unter Dunkelbrille in einen Raum, in dem sie mittels Klick-Lauten die Distanz zur Wand erkennen lernen.
Mehr zu Juan Ruiz: www.echolokalisation.at
Zur Ausbildung im Teamteaching durch sehende und blinde Trainer:
Dass es blinde Menschen gibt, die Klick Sonar anleiten und unterstützen wird von bleibender Bedeutung sein. Sie können in blinden Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und auch bei Eltern Ebenen öffnen, wie es sehenden Fachkräften wohl nie gelingen wird. Ausbreitung und Nachhaltigkeit werden aber nur gegeben sein, wenn wie jetzt neue Fortbildungen angeboten werden, wo beispielsweise durch Juan Ruiz (blind) und Stephan Drechsel (sehend) in Kombination Rehafachkräfte gezielt für diesen Bereich geschult werden. Angebote dieser Art sind von unschätzbarem Wert. Auf diese Weise fließen die verschiedenen Ansätze und Kompetenzbereiche zusammen. Nur hierdurch entsteht für alle Beteiligten etwas Ganzes.