Inklusion im Rampenlicht: Silvia Föhn auf der Bühne des Welttheaters

Silvia Föhn, hörsehbeeinträchtigt und Teil des Einsiedler Welttheaters, trotzte den Herausforderungen der Bühne. Mit ihrem Lebenspartner an der Seite war sie Teil des «Spielvolks», trat in drei Rollen auf und zeigte, wie Inklusion auch bei einem Grossprojekt gelingen kann. Ihr Fazit: «Man muss selbst auch aktiv werden.»
Von Michel Bossart
«Tüf in Bode, tüf id Ärde, willsch wärde, muesch stärbe», jammerten die Klageweiber, schwarzgekleidet und vor dem imposanten Benediktiner Kloster hinter einem Sarg hergehend. Eine von ihnen war die hörsehbeeinträchtigte Silvia Föhn aus Einsiedeln, die beim Welttheater zum «Spielvolk » gehörte. Das Einsiedler Welttheater wird in der Regel alle sieben Jahre aufgeführt und ist inspiriert vom «Gran Teatro del Mundo» nach Pedro Calderón. Das Einsiedler Spielvolk ist inklusiv: Fast das ganze Dorf ist in irgendeiner Form Teil des identitätsstiftenden Grossanlasses: Frauen, Männer, Jung, Alt, Alteingesessene genauso wie Asylsuchende. Selbstverständlich gehören da auch Menschen mit einer Beeinträchtigung dazu. «Wir haben uns auf ein Inserat in der Zeitung gemeldet. Das war letzten November», erinnert sich Föhn. Bereits im Jahr 2000 hat sie schon einmal beim Welttheater mitgemacht, damals noch allein. Dieses Mal war ihr Lebenspartner Klemens Förster dabei. «Mein Seh- und Hörvermögen haben sich in den letzten 24 Jahren verschlechtert, und ich bin auch nicht mehr so gut zu Fuss unterwegs. «Alleine hätte ich mir das nicht mehr zugetraut », sagt die 69-Jährige.
Man würde sie wegen ihrer Beeinträchtigung gar nicht nehmen, dachte sie zuerst. Falsch gedacht: Gemeinsam gingen Föhn und Förster zuerst an Castings, lernten Regisseur sowie Autor und alle Verantwortlichen kennen und bekamen im Dezember 2023 drei Rollen zugeteilt. Föhn und Förster traten jeweils im Zweierpack – wie sie sagen – auf: zuerst als Bauern, dann als Klageweiber und zum Schluss noch in der «elenden Szene» – in der sie als Sehbeeinträchtigte mit weissem Stock zu sehen waren. «Die schwierigste Szene», erzählt Föhn, «war die Bauernszene. Das Spielvolk stellte einen Wirbel dar: Wir mussten rasch im Kreis herumspringen, und ich machte das nur am Arm von Klemens – ohne den Stock oder andere Hilfsmittel zu verwenden.» Erschwerend kam hinzu, dass der Klostervorplatz mit Kies bedeckt und leicht abfällig ist.
Zwischen dem 11. Juni und dem 7. September meisterten die beiden gemeinsam mit den anderen 500 Mitwirkenden insgesamt 38 Aufführungen. 60‘000 Menschen sahen sich das Welttheater an. «Es war eine strenge, aber auch eine schöne Zeit», resümiert Föhn. Auf die grössten Herausforderungen, mit denen sie als sehbeeinträchtigte Person konfrontiert war, angesprochen, sagt sie: «Bei den Proben waren es die Aufwärmübungen, weil ich nicht sehen konnte, was vorgemacht wurde.» Bei den Auftritten hingegen waren die schnellen Kostümwechsel schwierig. Aber: «Alle haben mir beigestanden und beim Umziehen geholfen, sodass ich immer rechtzeitig wieder auf der Bühne stand.»
Selbst aktiv werden
«Das Ensemble war wie eine grosse Familie», sagt sie. Bei den Proben schauten alle, dass die Einsiedlerin einen Platz zum Sitzen hatte, und zwar möglichst weit vorne, damit sie alles gut verstehen konnte. Nach den Proben sind jeweils alle noch etwas trinken gegangen. Zum Thema Inklusion sagt sie: «Auch Menschen mit einer Hörsehbeeinträchtigung können mitmachen und sich an Gesellschaftlichem beteiligen. Man muss aber selbst aktiv werden. Sich sagen: Ich will das.» Sie meint damit, man dürfe nicht warten, bis etwas an einen herangetragen werde. «Es ist falsch, zu denken, die anderen müssen einem den Weg bereiten. Man muss selbst auch wollen und deutlich sagen, was man braucht.» Ihre gemachte Theatererfahrung würde sie, ohne zu zögern, anderen interessierten blinden und hörbeeinträchtigten Menschen empfehlen. «Das Gefühl, auf der Bühne zu stehen und Teil eines Ganzen zu sein, ist unglaublich schön!», schwärmt sie. Aber man solle sich keine Illusionen machen: «Man braucht wirklich eine Begleitperson, die das ebenfalls mitmacht. Sonst wird es sehr schwierig. Aber eine Lösung kann für alles gefunden werden.»
Ob sie selbst in sieben Jahren wieder auf der Welttheaterbühne steht, bezweifelt sie allerdings: «Das schaffe ich wahrscheinlich gesundheitlich nicht mehr. Die Zeit war zwar schön, aber auch recht anstrengend», meint sie. Trotzdem: Das erhabene Gefühl, nach den erfolgreich absolvierten Auftritten den frenetischen Schlussapplaus entgegenzunehmen, sei unbezahlbar schön gewesen und mache alle auf sich genommen Strapazen mehr als wett.