Karin Becker ist nahezu blind und Golfprofi. Die Tirolerin ist der beste Beweis, dass auch sehbehinderte Menschen Golf spielen können – wenn sie einen Guide haben, der ihnen für die Zeit des Spiels die Augen „leiht“.

Das Interview mit Karin Becker führte Andrea Eschbach

Golfbälle, so sagt Karin Becker, nehme sie nur als „kleine weisse Flecken“ wahr. Denn die 49-jährige Innsbruckerin ist fast blind. 1992 wurde bei ihr Morbus Stargardt diagnostiziert. Morbus Stargardt ist die häufigste erbliche Makuladegeneration (Prävalenz zwischen 1 in 8’000 und 1 in 10’000) und tritt bereits in jungen Jahren  auf

Erstes Symptom ist ein rascher Abfall der Sehschärfe. Karin Becker gibt an, mittlerweile nur noch über einen Sehrest von etwa 4 Prozent zu verfügen. Dies hält Karin Becker jedoch nicht vom Golfen ab: Heute ist sie eine der besten Blindengolferinnen der Welt.

Frau Becker, Sie haben mit 22 Jahren fast ihre ganze Sehkraft verloren.

Karin Becker: „Ja, ich musste innerhalb von drei Monaten mit einer neuen Lebenssituation umgehen lernen.“

War Sport dabei von Anfang an ein Thema?

„Nein, ich bin eigentlich erst mit der Sehbehinderung sportlich geworden. Zunächst bin ich Skigefahren, habe sogar Skirennen mit Guides absolviert. Golf hat mich aber immer fasziniert, ich dachte jedoch, das geht mit meiner Sehbehinderung nicht. Dann hab ich aber einen Kurs mit sehenden Spielern in einem Golfklub mitgemacht. Und da hat mich die Leidenschaft gepackt.“

Heute sind Sie Profi mit Handicap 26.

„Die meisten sehbehinderten Golfer haben mit dem Sport ja schon angefangen, als sie noch gut gesehen haben. Ich habe erst angefangen, als ich schon schlecht gesehen habe. Intensiv angefangen Golf zu spielen habe ich 2012, ab da habe ich dann mit einem Guide gespielt“.

Der Erfolg gibt ihr Recht. Karin Becker ist Österreichs Aushängeschild: Ihre bislang erfolgreichste Saison war 2019: Da gewann sie die Austrian Blind Open ebenso wie die Damenwertung bei den British Blind Open, und sie wurde österreichische Staatsmeisterin für Golferinnen mit Behinderung. Damit gehört sie zu den rund 500 Menschen, die die internationale Blindengolfgemeinschaft bilden und sich so regelmässig auf Turnieren in der ganzen Welt begegnen. Die allermeisten Turniere, an denen sie teilnimmt, sind jedoch Turniere, bei denen sie auf sehende Spieler trifft. Doch wie läuft so ein Spiel eigentlich ab? Zunächst wird der Schlag vorbereitet, der passende Schläger ausgewählt. Ist der richtige Schläger zur Hand, kommt ihr Guide ins Spiel. Karin Becker und ihr Guide richten sich gemeinsam nach der Ziellinie und deuten mit dem Schläger in die gewünschte Richtung. Ihr GPS-Tracker zeigt ihr per Audioausgabe die Entfernungen an. Zunächst muss ein Gespür für das angepeilte Ziel entwickelt werden. Nach ein, zwei Probeschwüngen wird die Position eingenommen, und der Guide platziert den Schlägerkopf genau hinter dem Ball. Der letzte Check gilt der angepeilten Richtung und ob sie noch mit der Ziellinie übereinstimmt. Dann setzt Karin Becker auf ihre Schlagroutine. Dabei stellt sie sich das Ziffernblatt einer Uhr vor, nach der sie beispielsweise bis 6 oder 9 Uhr ausholt. Geht es ans Putten, schreitet sie vorher die Strecke auf dem Grün ab. Sie zählt dabei ihre Schritte und vergewissert sich der Entfernung zwischen Golfball und Loch. Dann geht sie zurück, ihr Guide richtet sie aus, setzt ihr den Ball in die Mitte der Schlagfläche, sie macht den Schwung.

Blindengolf ist also Teamwork?

„Unbedingt. Es braucht grosses Vertrauen in den Guide. Keiner kann ohne den anderen. Ich kann ja beispielsweise Entfernungen nicht selbst einschätzen.“

Haben Sie immer den selben Guide?

„Ich spiele häufig mit meinem Sohn. Aber ich könnte mit jedem spielen, ich spiele auch gerne mit Guides, die gar nicht selbst Golf spielen können.“

Wieso?

„Ein Guide muss sich zurückhalten können. Er muss nur Auge für mich sein, mich aber nicht beeinflussen oder korrigieren. Ich spiele schliesslich mein Spiel.“

Woher wissen Sie, ob Sie einen guten Schlag gemacht haben?

„Das sagt mir Klang und Gefühl im Treffmoment. Wenn ich geschlagen habe, höre ich sofort, ob es perfekt war oder ob der Ball in die falsche Richtung wegging. Das ist natürlich viel Übungssache.“

Dieses besondere Gespür für den Ball und den Schläger ist sicher ein Vorteil gegenüber ihren sehenden Mitspielern. Gibt es noch andere?

„Ja, ich denke schon. Ich taste ja beispielsweise mit meinen Füssen den Boden ab. Sehende Golfer haben ja eine verzerrte Sichtachse zum Boden und gehen darum vor dem Schlag in die Hocke, um näher am Boden zu sein. Ich dagegen lese das Grün, wie ich es nenne, direkt am Boden.“

Nach Gefühl spielen, ist Ihre Stärke.

„Ja, dadurch bin ich entspannter und ruhiger.“

Wie machen Sie sich mit einem neuen Areal vertraut?

„Zunächst studiere ich das Birdiebook, den Spielplan des Geländes. Dann machen vor dem Spiel eine Proberunde. Mein Guide schreibt alles auf, so dass wir dies am nächsten Tag rekapitulieren können. „

Was ist für Sie die grösste Herausforderung gewesen?

„Zu viel zu wollen. Das macht dann verkrampft. Heute schaffe ich es, jeden Schlag einzeln zu beurteilen. Geht einer daneben, lasse ich das hinter mit und starte beim nächsten Schlag neu. Man muss dieses Selbstvertrauen aber erst aufbauen.“

Gelten für blinde Golferinnen andere Regeln?

„Nein, das ist das Tolle am Golfen. Für alle gelten die gleichen Regeln. So kommt auch keine Missgunst unter den Spielern auf.“

Golf gilt ja gemeinhin als elitär. Hier erscheint er mir aber als Paradebeispiel für Inklusion im Sport.

„Stimmt. Es ist der einzige Sport, den ich kenne, wo Inklusion vollkommen ist – und der ideale Sport für sehbehinderte Menschen. Und man braucht als blinde Person auch nur das Equipment für sich selbst, nicht wie beim Skifahren, wo man die Ausrüstung für bei de braucht.“

Karin Becker engagiert sich längst auch als Botschafterin für den Blindengolf. Beim Österreichischen Golf-Verband sitzt sie in einem Gremium, das sich um die Belange von Golfern mit Behinderung kümmert. In der Schweiz ist Blindengolf noch nicht etabliert. Doch das könnte sich ändern, auch dank Karin Becker. In Rotkreuz fand im Herbst 2020 der erste CAB-Golfkurs für Blinde und Sehbehinderte in der Schweiz statt. Die sechs blinden und sehbehinderten Teilnehmenden waren derart begeistert, dass sie eine Fortsetzung wollen. Und so fand im Mai 2021 die  zweite Auflage des CAB-Blindengolf-Kurses statt.. 

Ihre Golf-Schnupperkurse klingen nach einem vollen Erfolg.

„Ja, viele haben mich gefragt, ob sie weitermachen können. Deshalb planen wir nun Anfänger- und Fortgeschrittenenkurse. Ich freue mich, dass die Teilnehmenden soviel Spass hatten. Guide und Spieler dabei zu beobachten, wie sie zu einem Team zusammenwachsen, war faszinierend. Es ist wunderbar, wenn ich meine Leidenschaft für diesen Sport. weitergeben kann.“