In der Neunten Klasse in der Sekundarschule war ich auf Schulreise. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass ich kurzsichtig bin. Ich bin zum Augenarzt nach Thun, bei dem schon meine Grossmutter in Behandlung war. Erst im Nachhinein habe ich erfahren, dass sie wegen eines Glaukoms dort war und auch blind wurde. Bei mir hat man einfach eine Hornhautverkrümmung und Kurzsichtigkeit diagnostiziert und eine angepasste Brille verordnet. Weiter nichts.

Ich habe immer schlechter gesehen und brauchte immer dickere Brillengläser. Auch Optiker, bei denen ich die Brille anpassen liess, haben keinen Augendruck gemessen. Immer wieder war ich beim Arzt; der entdeckte mal etwas Harmloses an der Pupille, sagte mir aber, dass sie die Kurzsichtigkeit nach der Pubertät einpendeln würde.

Dann habe ich den Militärdienst geleistet, war Feuerwehrkommandant in der kleinen Gemeinde, wo ich wohnte und hatte als Lehrer viele Schüler in fünf verschiedenen Klassen unterrichtet. Es ging irgendwie mit den Augen. Aber eines Tages stand ich auf dem Balkon und sah das Licht vom Niessen nicht mehr, nur noch aus dem Augenwinkel. Im Wohnzimmer habe ich dann mit einer Lampe, die von der Decke hing, einen Test gemacht und gemerkt: Irgendetwas ist gar nicht mehr gut! – Schmerzen hatte ich aber keine. Ich habe den Augenarzt gewechselt, der zum ersten Mal den Augendruck mass. Auf beiden Augen war der Druck bei über 30. Ich musste notfallmässig ins Inselspital und wurde gleich operiert; erst an dem Auge, das stärker angeschlagen war, und eine Woche später auch am anderen. Der Sehnerv war wegen des jahrelangen Überdrucks so angeschlagen, dass er irreparabel geschädigt war. Ich sehe die Verantwortung für diesen Verlauf bei den Augenärzten in meiner Jugend: Über das Jugend-Glaukom war wenig bekannt und sie haben einfach keinen Druck gemessen. Dabei weiss ich heute auch, dass eine erbliche Veranlagung eine Rolle spielt. Nicht nur meine Grossmutter, sondern auch zwei meiner Onkel hatten Glaukom. Meine Tochter zum Glück hat einen einwandfreien Augendruck.

Ich konnte dann nicht mehr so viel arbeiten. Als Lehrer in fünf Klassen hat man Unmengen von Korrekturen zu erledigen, das ging einfach nicht mehr. Das Glaukom hat sich zwar eingependelt, aber dann kam der Graue Star. An einem Auge wurde er operiert, am zweiten hatte ich unsägliche Schmerzen nach der OP. Der Druck war auf 0 abgesunken und es gab eine Netzhautablösung. Auf diesem Auge bin ich heute blind.

Heute lasse ich regelmässig Kontrollen machen und halte mit Medikamenten den Augendruck bei 6 bis 7. Mit meiner Frau bin ich in eine altersgerechte Wohnung gezogen. Ich bin darauf angewiesen, meinen Sehrest zu behalten, weil ich jetzt für vieles zuständig bin und auch einkaufen gehe. Übrigens immer mit dem Weissen Stock, das ist eine grosse Erleichterung im Strassenverkehr. Nachdem ich frühpensioniert wurde, habe ich mich dem Blindenverband verschrieben. Jahrelang war ich im Vorstand unserer Sektion und auch acht Jahre lang Präsident. Ich habe eine Freizeitgruppe geleitet und eine Selbsterfahrungsgruppe gegründet, wo wir uns heute noch zu Gesprächen treffen.

 

Hansueli Lüthi

Aufzeichnung: Ann-Katrin Gässlein