Wie der technische Fortschritt Sehbehinderte Menschen unterstützen kann. 

eSight, feelSpace, BlindShell, CaneTroller – so futuristisch klingen die Namen der Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen, die sich moderne Technik zu Nutze machen. Wohin geht der Trend und wie entstehen eigentlich die technischen Innovationen für diese Hilfsmittel? Im Gespräch mit Stephan Mörker, Leiter Ressort Hilfsmittel SZBLIND, und Edouard Legrand, Marketing Coordinator eSight eyewear, sind wir diesen Fragen nachgegangen.

Von Nina Hug

Generell könne maEine Frau überquert mit dem Langstock einen Platz. Um den Bauch hat sie den Orientierungsgürtel von FeelSpace geschnallt.n unterscheiden zwischen den Insellösungen, die spezifisch für blinde und sehbehinderte Menschen entwickelt werden und den allgemeinen technischen Innovationen, die für blinde und sehbehinderte Menschen adaptieren werden können, sagt Stephan Mörker, Leiter des Ressorts Hilfsmittel des SZBLIND.

Insellösungen entstünden entweder durch Firmen, die bereits im Hilfsmittelmarkt agieren oder durch Start-ups, die aus Forschungsarbeiten (z.B. Master- oder Doktorarbeiten) hervorgehen und spezifische Forschungsergebnisse oder technische Ideen umsetzen wollen. Bis vor etwa acht Jahren habe es die Insellösungen auch zwingend gebraucht, um innovative Produkte auf dem Hilfsmittelmarkt anbieten zu können. Heute hingegen hätten die grossen Firmen wie google, Apple und Co. erkannt, dass Elemente wie zum Beispiel die Sprachausgabe und Vergrösserungsmöglichkeiten bei Handys Funktionen seien, die eine riesige Zielgruppe profitieren lässt. Darunter auch blinde und sehbehinderte Menschen.

Mobiltelefonie

Je nach Segment der Hilfsmittel haben Insellösungen bessere oder schlechtere Chancen, sich auf dem Hilfsmittelmarkt durchzusetzen. In der Mobiltelefonie zum Beispiel scheinen Geräte, die für alle Menschen nützlich sind und über Features verfügen, die auch sehbehinderte und blinde Menschen benötigen, die Speziallösungen klar zu verdrängen. Zwar ist beispielweise das aus einer Masterarbeit eines tschechischen Studenten hervorgegangene BlindShell-Telefon ein auf dem Android Betriebssystem basierendes  Touchscreen Handy, das einfach zu bedienen, günstig und intuitiv ist. Möchte ein Nutzer jedoch zum Beispiel, dass sein Gerät mit anderen verwendeten Geräten via Bluetooth kommuniziert, könne ein Telefon wie BlindShell diese Funktion nicht anbieten.

Woher aber kommen die Innovationen für das Blinden- und Sehbehindertenwesen in der Mobiltelefonie? „Die meisten Errungenschaften für das Blinden- und Sehbehindertenwesen im Bereich der Smartphones stammen aus den USA und sind stark über gesetzliche Rahmenbedingungen gesteuert. Apple konnte seine Geräte zum Beispiel nur an Schulen einsetzen, wenn diese barrierefrei einsetzbar waren. Um sich diesen Markt zu erschliessen, entwickelte Apple die Sprachausgabe für sehbehinderte Schülerinnen und Schüler. Davon profitieren weltweit nun alle Betroffenen“, erklärt Stephan Mörker.

Vergrösserungstechnik

Im Bereich der mobilen Vergrösserungstechnik sieht der Markt anders aus. Hier treiben spezialisierte Firmen die Entwicklung voran. So ist zum Beispiel eSight die Erfindung von Conrad Lewis, der vor 10 Jahren ein Hilfsmittel entwerfen wollte, um seinen beiden sehbehinderten Schwestern zu helfen. Die dritte Generation der eSight Brille ist nun ein multifunktionales Hilfsmittel, das mehrere Funktionen in einem Produkt vereint. „Die Nutzer können eine 24fache Vergrösserung erreichen, können Fotos mit der Brille aufnehmen, in dieses Foto hinein zoomen und eine andere Hintergrundfarbe und Kontrast auswählen. All diese Funktionen sind via eine Fernbedienung erreichbar. Falls der Träger eine Korrekturbrille trägt, kann diese Korrektur gleich in die eSight Brille integriert werden. Ebenfalls ist es möglich, die Brille mit dem Computer und dort zum Beispiel mit Zoomtext zu verbinden“, erklärt Edouard Legrand.

So hilft die eSight Brille, zum Beispiel Personen, die an Altersbedingter Makuladegeneration, Retinopathie, Stargardt, einem Glaukom oder Nystagmus erkrankt sind, wenn sie noch ein Sehpotential von 3-30% haben.

Link zu Artikel über e-Sight in der Zeitschrift Schweizer Optiker

Fortbewegung

Was die technischen Hilfsmittel zur Fortbewegung betrifft, so scheint der weisse Stock immer noch die Lösung schlechthin, meint Stephan Mörker. Hier forschen viele daran, eine Lösung dafür zu finden, dass der weisse Stock Hindernisse im Gesichtsfeld von der Brust bis zum Kopf nicht wahrnehmen kann. Alle Lösungen die mit Ultraschall oder anderen Signalen arbeiten, seien in der Stadt jedoch zum Scheitern verdammt, weil so viele Hindernisse in so kurzer Zeit auftauchen und wieder verschwinden, dass es unmöglich ist, zu filtern, was nun wirklich im Weg steht.

Ein interessantes Hilfsmittel zur Erleichterung der Orientierung ist der Navi-Gürtel von feelSpace. Der Navigationsgürtel wurde im Rahmen des FeelSpace Forschungsprojektes am Institut für Kognitionswissenschaften der Universität Osnabrück entwickelt. Dabei ging es bei der Forschung zunächst um eine ganz andere Frage, nämlich, was passiert, wenn man Menschen über einen längeren Zeitraum mit kontinuierlicher Information über den magnetischen Norden versorgt. Entwickelt sich bei ihnen ein Sinn für die Himmelsrichtung, wie ihn beispielsweise Zugvögel besitzen? Für das Projekt haben drei Forscherinnen einen taktilen Kompassgürtel entwickelt, der seinem Träger mittels Vibrationssignalen anzeigt, wo sich der Norden befindet. Der Gürtel bekam in der Testphase viel positives Feedback vor allem von blinden und sehbehinderten Menschen, denen der Gürtel dabei half, im Alltag unabhängiger zurechtzukommen. So gründeten Silke Kärcher, Jessika Schwandt und Susan Wache das Start-up feelSpace und vertreiben den Gürtel, der blinden und sehbehinderten Menschen zum Beispiel hilft, Strassen und Plätze in gerader Linie zu überqueren.

Im Gegensatz zur Entwicklung des Navi Gürtels, stammt der virtuelle Weisse Stock, Cane Troller, vom Technologie-Riesen Microsoft. Für Microsoft stand das Thema Virtual Reality im Vordergrund. Diese sei bisher vor allem über visuelle Wahrnehmung erfahrbar, was blinde und sehbehinderte Menschen von Virtual Reality Erfahrungen ausschliesse, heisst es im Vorstellungsvideo von Cane Troller. Microsoft hat nun mit Cane Troller einen haptischen Controller erschaffen, der den Umgang mit einem Weissen Stock simuliert. Mit dem Cane Troller können blinde und sehbehinderte Menschen eine virtuelle Umgebung navigieren, virtuelle Objekte ertasten und die Stockkontakte mit Gegenständen auch über eine Audio-Feedback hören.

Zukunftsvisionen

Stephan Mörker räumt technischen Entwicklungen aus dem Bereich der Augmented Reality gute Chancen ein, die technischen Neuerungen der Zukunft zu bestimmen. „Zurzeit bindet das Smartphone immer eine oder beide Hände durch die Bedienung. Wenn wir aber als Bildschirm eine Brille nutzen könnten und diese über eine Smartwatch oder über Sprachnavigation bedienen würden, wären unsere Hände frei. Dies wäre vor allem für sehbehinderte Menschen, die ihren Langstock und vielleicht noch einen Führhund bei sich haben, eine grosse Unterstützung. Über den Bügel der Brille liesse sich auch die Sprachausgabe direkt ans Ohr bringen“, formuliert er seine Vision.