„Ein unerhört viel besseres Leben“
Prof. Dr. Alexander H. Trechsel ist Professor für Politikwissenschaft und Vizerektor Forschung an der Universität Luzern. Er leider seit seiner Kindheit an einem Keretokonus. Im Frühjahr 2021 hat er eine Hornhauttransplantation im linken Auge vornehmen lassen. Tactuel hat mit ihm über diesen Eingriff gesprochen.
Von Nina Hug
Herr Trechsel, Sie haben im Frühjahr dieses Jahres im linken Auge eine Hornhaut transplantiert bekommen. Wieso wurde der Eingriff nötig?
Ab Beginn der Pubertät habe ich immer schlechter gesehen. Was auf der Tafel im Schulzimmer stand konnte ich nicht mehr lesen. Mein Augenarzt, Dr. Bürki in Thun, hat schnell die Diagnose Keratokonus gestellt. Diese fortschreitende Wölbung der Hornhaut trat auf beiden Augen auf, auf dem linken Auge war es aber von Anfang an schlimmer.
Vom 13. Lebensjahr bis heute ist eine lange Zeit vergangen. Wie hat sich die Krankheit entwickelt?
Anfangs habe ich eine Brille bekommen, aber die hat schon bald nichts mehr genützt. Die Wölbung und Verdünnung der Hornhaut geschehen in Schüben. Mit 13 Jahren bekam ich nach einem weiteren Schub die ersten Kontaktlinsen. Mit diesen harten Linsen konnte man die Sicht gut korrigieren. Mit der fortschreitenden Wölbung mussten die Linsen weiter angepasst werden. Aber ich hatte immer Angst eine Linse zu verlieren, dann sah ich wirklich sehr schlecht. Und die Linsen sind ja auch sehr teuer…
Waren die Linsen irgendwann keine Lösung mehr?
Mit der Zeit ist der Keratokonus so weit fortgeschritten, dass viele Ärzte mir zu einer Transplantation geraten haben. Ausserdem gab es ab und zu einen akuten Keratokonus. Dies ist ein Ödem im Auge, das auftritt, wenn eine der Schichten in der Hornhaut einreisst und sich Wasser dort ansammelt. Das ist jeweils sehr unangenehm und dauert immer wieder eine Weile, bis es abgeheilt ist. In dieser Zeit kann man keine Linsen tragen. Das hat mich sehr eingeschränkt.
Wie haben Sie den Entscheid zur Transplantation gefällt?
Ich habe lange zugewartet mit der Transplantation. Es ist ja schon ein krasser Eingriff, so eine Organtransplantation. Beim Entscheid haben mit die Spezialisten der Augenklinik in Luzern sehr geholfen. Ich hatte grosses Glück, dass ich in Luzern lebe und dort am Kantonsspital 1/3 der Hornhauttransplantationen in der Schweiz erfolgen. Ich hatte also mit Dr. med. Philipp Bänninger und seinem Team einen ausgewiesenen Spezialisten direkt vor Ort, der mich sehr gut informiert – und schliesslich operiert hat.
Wie lief die Vorbereitung auf die Transplantation ab?
Die Hornhaut ist ein nicht vaskularisiertes, also blutleeres Gewebe, das sich eher leicht transplantieren lässt, weil man anders als bei anderen Organen nicht auf die gleiche Blutgruppe des Spenders angewiesen ist. Ein grosses Problem ist jedoch, dass die Schweizerinnen und Schweizer zu wenige Organe spenden. Die Mehrzahl der Transplantate kommt aus dem Ausland. Aber ich hatte Glück, ich konnte am vorgesehenen Datum operiert werden.
Wie verlief die Operation?
Ich erhielt eine komplette Transplantation der Hornhaut. Das kranke Gewebe in meinem Auge wurde komplett entfernt und das Transplantat eingesetzt. Dann hat es der Chirurg von Hand eingenäht. Dieser mechanische Ablauf ist nicht mit grossen Risiken verbunden und die Operation ist mit 1,5 Stunden auch relativ kurz, verlangt aber grosses Können des Operierenden. Danach, im akuten Zustand muss man hoffen, dass das Gewebe vom Körper angenommen wird und dass es nicht zu einer Vaskularisierung kommt. Ich habe Cortison gegen die Abstossungsgefahr und Antibiotika gegen Entzündungsrisiken erhalten.
Hat Ihr Körper das Gewebe angenommen?
Ja, es ist alles sehr gut verlaufen. Das transplantierte Gewebe muss nach der Operation ja wieder aktiv werden: es muss wieder pumpen, die Hornhaut muss transparent bleiben etc. In den Tagen nach der Operation im Spital wird man sehr gut überwacht. Man muss mit einem Augenschutz schlafen und sehr aufpassen, dass man nicht hinfällt, dass man sich nicht den Kopf anschlägt, oder andere dummen Sachen macht.
Wie ging es Ihnen nach der Operation?
Ich war einen Monat lang krank geschrieben. Und diese Krankschreibung habe ich sehr ernst genommen. Es ist ja eine grosse Sache, bei der viele Menschen vieles geben: die Entnahme des Gewebes beim Spender, der Transport, das OP-Team: Da musste ich als Patient auch meinen Teil zum Gelingen beitragen.
Wie hat sich die Sicht entwickelt?
Nach einem Monat darf man anfangen wieder eine Linse auf das Auge anzupassen. Dies verlangt ebenfalls grosses Fingerspitzengefühl und ich hatte das Glück, von einem hervorragenden Optometristen, Oliver Bammert, am LUKS begleitet zu werden. Nach einem Monat hatte ich mit Linsen bereits wieder eine Sehkraft von 60%. Heute, ein halbes Jahr nach der OP hat sich meine Sehkraft massiv verbessert. Ich sehe mit der Linse auf dem linken Auge 160%. Auf der Sehtafel gab es bei der Untersuchung keine kleineren Buchstaben mehr – bei 160% hört die Skala auf! Es ist fast wie ein neues Leben – vor allem ein unerhört viel besseres Leben. Auf dem rechten, nicht operierten Auge sehe ich 60% mit Linsen. Wenn ich mit dem operierten Auge sehe, dann sehe ich eine neue Welt. Wenn ich das linke Auge zuhalte und nur mit dem rechten Auge schaue, dann weiss ich nicht wie ich das früher gemacht habe.
Wie sind Sie mit dem Umstand umgegangen, dass sie das Organ einer verstorbenen Person in sich tragen?
Klar, jedes Mal, wenn ich das Auge aufmache, sehe ich durch das Organ einer verstorbenen Person hindurch in die Welt. Am Anfang ist das ein mulmiges Gefühl. Man fragt sich, bin ich dann nicht mehr ganz, wenn ein Teil von mir von jemand anderem kommt? Aber ich habe mir dann intellektuell vergegenwärtigt: Es ist ein Zellverband, der da eingefügt wird. Es ist ein Gewebe, das früher oder später zu Staub verfallen wäre – und es jetzt einfach ein bisschen später machen wird. Das Gewebe kann nun bei mir weiterleben. Und jetzt wo ich das Resultat der Operation kenne bin ich einfach nur zutiefst dankbar, dieser guten Seele, die mir diese enorme Verbesserung meiner Lebensqualität ermöglicht hat.