Liebe Leserin, lieber Leser!
Wie viele Sinne hat der Mensch? Bereits die antiken Griechen zerbrachen sich darüber den Kopf und kamen zum Schluss, dass der Mensch über fünf Sinne verfügt: Hören, Riechen, Schmecken, Sehen und Tasten. Doch stimmt das wirklich? Und was, wenn einer oder gar zwei wegfallen oder eingeschränkt sind?

Nina Hug, Redaktion tactuel Deutschschweiz
Nina Hug, Redaktion tactuel Deutschschweiz / Bild: Daniel Winkler

Ja, diese fünf Sinne gibt es. Die moderne Sinnesphysiologie kennt für den Menschen allerdings noch vier weitere Sinne: Temperatursinn, Schmerzempfindung, Gleichgewichtssinn und die Körperempfindung.

Wie gehen aber Menschen damit um, wenn ihnen einer oder mehrere Sinne fehlen oder wenn diese im Laufe des Lebens laufend schwächer werden? Das Schwerpunktthema dieser Ausgabe ist das Usher-Syndrom. Definiert wird diese Hörsehbehinderung durch eine früh einsetzende Innenohrschwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit von Geburt an und einem später einsetzenden Verlust des Sehsinns, verursacht durch eine Retinopathia pigmentosa (RP). Das war auch bei Beat Marchetti der Fall: Er wurde gehörlos geboren und merkte bereits als Kind, dass auch etwas mit seinem Sehsinn nicht in Ordnung war. Erst mit 22 Jahren erfuhr er, dass er das Usher-Syndrom hat und sein Sehsinn im Laufe des Lebens stetig abnehmen wird. Wie weit oder ob er vollständig erblinden wird, das kann ihm niemand sagen.

Das Interview mit ihm hat mich beeindruckt: Beat Marchetti liess sich von der Usher-Diagnose nicht entmutigen und lernte die taktile Gebärdensprache. Für die Kommunikation mit Hörenden muss eine Dolmetschperson für taktile Gebärdensprache hinzugezogen werden. Dabei wurde mir bewusst: Zu oft werden die Bereiche des Sehens und des Hörens getrennt voneinander betrachtet. Blinden- und Gehörlosenorganisationen kümmern sich schwerpunktmässig entweder um seh- oder um hörbeeinträchtigte Menschen. Hörsehbeeinträchtigte Menschen gehören aber in beide Welten.

Tatsächlich gibt es nur wenige Stellen, die sich um diese doppeltbeeinträchtigte Klientel kümmern. Eine dieser Stellen ist die Fachstelle für hörsehbehinderte Menschen des SZBLIND. Von Regula Stoll, die seit über 15 Jahren auch vom Usher-Syndrom betroffenen Personen dabei hilft, ihren Alltag möglichst selbstständig, selbstbestimmt und selbstverantwortlich zu bewältigen, erfahren wir, dass nicht nur die Betroffenen selbst mit dem Usher-Syndrom leben lernen müssen, sondern dass die Situation für Arbeitgebende und Familienmitglieder oft ebenso eine Herausforderung und psychische Belastung darstellt.

Ich wünsche Ihnen eine anregende und erkenntnisreiche Lektüre.

Nina Hug, Redaktion tactuel Deutschschweiz