«Drei, zwei, eins,Bügel kommt!»
Zum 35. Mal reisten diesen Februar sehbeeinträchtigte Kinder des Heilpädagogischen Schul- und Beratungszentrums Sonnenberg nach St.Moritz ins Skilager. Bereits zum 18. Mal war auch Claudia Friedli dabei. Sie leitet im Sonnenberg das Angebot «Sehen» und berichtet über das jährlich wiederkehrende Highlight im Schulkalender.
Seit 1981 bildet die Skischule St.Moritz als erste in der Schweiz Skilehrpersonen für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung aus. Mit Simulations- und Dunkelbrillen bereiten sie sich auf die anspruchsvolle Vermittlungstätigkeit vor. Das Engadiner Angebot fand sofort regen Anklang, vor allem bei ausländischen Gästen. 1985 wandte sich die Skischule dann mit einem Schreiben an die Blindenschulen in der Schweiz. Darin stand geschrieben: «Aus allen Ländern kommen sehbehinderte Personen nach St. Moritz zum Skifahren; Wo sind die blinden und sehbehinderten Kinder und Jugendlichen aus der Schweiz?» Als einzige Institution reagierte das Heilpädagogische Schul- und Beratungszentrum Sonnenberg in Baar auf den Brief und bereits 1986 reisten die ersten zwei Primarklassen in die Skiferien nach St.Moritz.
Für Claudia Friedli war es heuer das 18. Mal, dass sie mit rund 30 Schulkindern nach St.Moritz ins Skilager fuhr. Sie leitet das Angebot «Sehen» und begann vor 20 Jahren als Sportlehrerin im Sonnenberg. Sie sagt: «Das Skilager war und ist bei unseren Schulkindern sehr beliebt und ist für viele der Höhepunkt des Schuljahrs.» Wer zum ersten Mal mitfahre, sei selbstverständlich neugierig aber auch voller banger Erwartung. Sie lacht: «Spätestens, wenn die Kinder zum ersten Mal die Skischuhe anziehen, denken viele, dass sich mit diesen schweren Dingern, in denen man kaum gehen kann, nichts Vernünftiges anstellen lässt.» Dieser erste Schritt sei ein sensibles Unterfangen und erfordere viel Fachkompetenz von der Lehrperson, um die Lust und Begeisterung, etwas Neues zu lernen, zu wecken und zu fördern.
Mit Stangen, Ringen und über Funk
Nach diesem ersten Schritt lernen die Kinder im Schnee die Grundbewegungen des Skifahrens. Die Skilehrpersonen nutzen dafür Stangen und Ringe als Hilfsmittel. Später funktioniert das Skifahren dann (auch) über Funk: Je nach Sehvermögen fährt der Skilehrer hinter oder vor dem Schüler und gibt ihm Kommandos: «rechts», «links» oder «Halt!» für langsames Halten und «Stopp» für ein sofortiges Anhalten. «Für die Begleitperson ist das Skifahren mit sehbeeinträchtigten Kindern eine grosse Herausforderung», sagt Friedli. Sie müsse für sich und den Schüler schauen und den ganzen Hang im Auge behalten. Mit verbalen Kommandos funktioniert auch das Anbügeln oder die Fahrt mit dem Sessellift: «3, 2, 1, Bügel kommt» oder «3, 2, 1, Aussteigen».
Heute unterrichten 28 Blindenskilehrpersonen an der Skischule St.Moritz. Die Schülerinnen und Schüler werden täglich vier Stunden unterrichtet, wobei auf jeden Schüler und jede Schülerin ein Skilehrer kommt. Je nach Können findet der Unterricht im Snowliland in Celerina oder im Skigebiet Corviglia statt. Finanziert wird das Skilager über einen Skilagerfonds und Spenden. Mit der Skischule St.Moritz und für die Materialmiete auch mit einem einheimischen Sportgeschäft konnten attraktive Abkommen gefunden werden. «Für die Eltern entstehen keine Zusatzkosten», versichert Friedli.
Lernen für den Alltag
«Für die Kinder ist das Skilager nicht nur in sportlicher Hinsicht eine wertvolle Erfahrung», meint Friedli. Die Woche im Schnee sei auch eine Schulung in Sozialkompetenzen, der Orientierung und der Mobilität. «Zudem trainieren wir auch die lebenspraktischen Fähigkeiten wie Abtrocknen oder Tische abwischen – die Kinder werden in den Lageralltag miteinbezogen und lernen dabei, ihr Leben selbstständig zu gestalten.»
Alle Skilager seien jedes Jahr ein eindrückliches Highlight – nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für die rund 15 Begleitpersonen. Besonders schön in Erinnerung ist ihr geblieben, als das Hotel Europa in Champfèr sein 40-Jahr-Jubiläum feierte, und 40 Personen vom Sonnenberg einlud, während des Skilagers dort zu wohnen. Seit fünf Jahren beziehen die jugendlichen Skisportlerinnen und Sportler mit ihren Begleitpersonen nun ein neugebautes Lagerhaus in Celerina. «Das Haus ist mega cool», sagt Friedli. «Wir können es nicht nur für einen attraktiven Preis mieten, es verfügt auch über eine Küche, wo wir selbstständig Kochen können. Neben einem grossen Aufenthaltsraum bietet es den Kindern Viererzimmer mit eigener Dusche und WC.» Das Haus gehört der Antoniusstiftung. Diese verfolgt das Ziel, Kindern und Jugendlichen mit einer Beeinträchtigung ein Haus mit guten Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen. Das Lagerhaus befindet sich nur fünf Minuten vom Skischulgelände.
«Schön ist, wenn die Kinder jedes Jahr zur gleichen Skilehrperson kommen. Das gibt eine auf Vertrauen basierende Beziehung und führt so zu Sicherheit», fügt Friedli noch an. Dass es das Skilager auch in Zukunft geben wird, ist so gut wie sicher: «Es hat einen fixen Platz in unserer Agenda!»