Funktionsweise, zu erwartende Vorteile und Zielgruppe

Von Marie-Noëlle Delyfer*

Argus® II (Second Sight, Sylmar, Kalifornien, USA) ist ein Implantat, das die Schicht der Photorezeptoren ersetzt, indem es elektrische Impulse zunächst an die innere Netzhaut und dann an den Sehnerv weiterleitet und auf diese Weise den visuellen Kortex stimuliert.

Seit mehreren Jahren arbeiten verschiedene Teams auf der ganzen Welt daran, „Sehprothesen“ zu entwickeln, mit denen die verbleibenden Neuronen der beeinträchtigten Sehbahnen stimuliert werden, wodurch blinde Patienten und Patientinnen wieder eine gewisses Sehvermögen erlangen können. Das Retina-Implantat Argus® II (Second Sight, Sylmar, Kalifornien, USA) ist hierbei das derzeit am weitesten entwickelte System.

Das System Argus® II besteht aus zwei Komponenten: Die erste ist das Retina-Implantat im eigentlichen Sinne, das im und um das Auge implantiert wird. Die zweite ist abnehmbar und besteht aus einer Brille und einem Kästchen, das am Gürtel getragen wird. Der im Auge implantierte Teil, eine Matrix mit 60 Elektroden, wird bei einem chirurgischen Eingriff auf die Oberfläche der Netzhaut im Bereich der Makula und des hinteren Augenpols implantiert (epiretinales Implantat). Diese Matrix ist über ein Kabel mit einer an der Episklera fixierten Antenne (obere Temporalregion) verbunden und mittels eines umlaufenden Skleralbands aus Silikon stabilisiert.

Der abnehmbare Teil besteht aus einer Brille mit einer integrierten Minikamera und einer externen Antenne, die auf einem der beiden Brillenbügel befestigt ist, sowie einem am Gürtel zu tragenden Kästchen mit einer akkubetriebenen Videoverarbeitungseinheit. In der Praxis wird das von der Kamera aufgenommene Bild an die Verarbeitungseinheit gesendet, welche die Information in elektrische Impulse umwandelt. Diese Impulse werden über ein Kabel an die externe Antenne des Systems auf dem Brillenbügel weitergeleitet, die das Signal wiederum über Funk an die innere, das Auge umlaufende Antenne und anschliessend an die Elektrodenmatrix weiterleitet, welche die innere Netzhaut des Patienten stimuliert. Das mit dem Implantat erzeugte Sichtfeld ist auf 20° beschränkt. Die Patienten und Patientinnen müssen somit den Kopf drehen, um weitere Informationen über die Kamera aufzunehmen und ihre unmittelbare Umgebung besser zu erfassen.

Welche Vorteile sind zu erwarten?
Die Vorteile einer Implantation für den Patienten und die Patientin bestehen in einer Verbesserung der Sehschärfe und reichen von der „Lichtwahrnehmung“ (oder weniger) bis hin zum „Sehen von Handbewegungen“. Einige Personen können sogar „ihre Finger zählen“ [1]. Im Alltag ersetzt das System Argus® II die bisher eingesetzten Hilfstechniken nicht vollständig, aber durch die Verbesserung der visuellen Wahrnehmung können sich Patienten und Patientinnen mit Implantat oftmals besser orientieren und fortbewegen, weil sie Hindernisse in Augenhöhe wahrnehmen oder die Anordnung von Objekten auf einem Tisch erkennen können [2]. In welchem Ausmass sich die erworbenen Leistungen positiv auswirken, hängt weiterhin stark davon ab, wie sehr sich der Patient beim Rehabilitationsprogramm engagieren kann.

Für wen ist das System geeignet?
Der ideale Kandidat für ein Argus® II-Implantat ist ein Patient oder eine Patientin mit der Diagnose einer äusseren Netzhautdegeneration, die sich in einer auf blosse Lichtwahrnehmung reduzierten Sehschärfe äussert, oder eine Person, die ihr Sehvermögen gänzlich verloren hat. Sie darf keine sonstigen Augenerkrankungen haben, welche die Übertragung des neuen Signals beeinträchtigen könnten, und muss in ihrem früheren Leben über ein ausreichendes Sehvermögen verfügt haben, damit der visuelle Kortex die empfangenen Informationen deuten kann. Patienten und Patientinnen mit Retinitis pigmentosa im Endstadium sind derzeit die beste Zielgruppe.

Bis zum heutigen Tag haben 110 Patienten und Patientinnen auf der ganzen Welt ein Implantat erhalten. Die erste Implantation liegt zwischenzeitlich acht Jahre zurück und belegt, dass Argus® II zuverlässig ist und auf lange Sicht gut toleriert wird. Patienten und Patientinnen mit Implantat berichten von einer deutlichen Verbesserung ihrer visuellen Wahrnehmung und einer gleichzeitig stetig steigenden Autonomie. In absehbarer Zeit wird Argus® II aller Voraussicht nach auch bei anderen Erkrankungen der äusseren Netzhaut eingesetzt werden können.

Literatur
1. Humayun MS, Dorn JD, da Cruz L et al.: Interim results from the international trial of Second Sight’s visual prosthesis. Ophthalmology. 2012;119:779-88.
2. Ahuja AK, Dorn JD, Caspi A et al.: Blind subjects implanted with the Argus II retinal prosthesis are able to improve performance in a spatial-motor task. Br J Ophthalmol 2011;95:539-43.

 

*Marie-Noëlle Delyfer ist Chirurgin und Professorin für Ophthalmologie, Hôpital Pellegrin, CHU (Universitätsklinikum) von Bordeaux. Der Originalartikel erschien in den Schriften für Augenheilkunde 2015, Ausgabe Nr. 189 38-40.