CAP Parents – massgeschneiderte Unterstützung für Eltern mit Behinderung

Die Elternberatungsstelle CAP Parents wurde im April 2024 in Clermont-Ferrand, Frankreich, ins Leben gerufen. Werdenden und jungen Eltern mit Behinderung bietet die Stelle ab dem Kinderwunsch bis zur Selbständigkeit des Kindes eine kompetente Begleitung. Mit einem multidisziplinären Team und bedürfnisgerechten Interventionen unterstützt CAP Parents Familien dabei, passende Lösungen zu finden für die Herausforderungen, die mit der Elternschaft einhergehen. Die Leiterin der Beratungsstelle, Laetitia Belin-Boussier, erläutert, wie dieses innovative Angebot das Leben der betroffenen Eltern verändert.
Von Michel Bossart, Redaktion tactuel
Frau Belin-Boussier, können Sie uns das Projekt «CAP Parents» kurz vorstellen?
Die Beratungsstelle «CAP Parents» wurde am 1. April 2024 in Clermont-Ferrand ins Leben gerufen und richtet sich an Eltern und werdende Eltern mit Behinderung oder beeinträchtigenden Erkrankungen. Wir begleiten die Menschen ab ihrem Kinderwunsch bis zur Volljährigkeit ihres Kindes. Wir richten uns sowohl an Eltern mit unterschiedlichen Behinderungen – seien sie motorischer, sensorischer, psychischer oder geistiger Art – als auch an Eltern mit chronischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose oder solche, die einen Schlaganfall erlitten haben.
Wie sieht die Begleitung von werdenden blinden oder sehbeeinträchtigten Eltern aus?
Wir verfügen über ein multidisziplinäres Team bestehend aus einer für die Koordination zuständigen Hebamme, einer Mütterberaterin, einer Ergotherapeutin, einer Psychologin, einer Psychomotorikerin und O+M-Trainerin und einer Sozialarbeiterin. Die Unterstützung ist auf die individuellen Bedürfnisse der Eltern ausgerichtet. Wir möchten ihre elterlichen Fähigkeiten einbinden, den Zugang zu Hilfsangeboten erleichtern und sie auch psychologisch betreuen. Wir begleiten sie bei der Verwendung von technischen Hilfsmitteln, der Einrichtung ihrer Wohnung, der Betreuung ihres Kindes und in ihrer Mobilität. Bei der Beantragung finanzieller, materieller oder personeller Unterstützung stehen wir ihnen ebenfalls zur Seite. Darüber hinaus bieten wir Besuche auf Entbindungsstationen, Treffen mit anderen Eltern und zur Vorbereitung für die Krippe oder den Kindergarten an. Die Betreuung unserer Klientinnen und Klienten findet in der Regel bei ihnen zu Hause statt. Wir sind mobil und decken mit unserer Dienstleistung die gesamte Auvergne ab.
Welche Erfahrungen machen die Eltern mit Ihrer Dienstleistung?
Im Juni 2024 berichteten zwei sehbeeinträchtigte Mütter in einer Reportage auf dem Sender M6 über ihre Erfahrungen. Beide äusserten sich sehr positiv, was zeigt, wie wichtig unser Angebot ist.
Können Sie unseren Leserinnen und Lesern erläutern, was an Ihrer Dienstleistung besonders geschätzt wird?
Die Familien schätzen vor allem die individuelle Betreuung. Jede Intervention ist auf die jeweiligen Bedürfnisse der Eltern abgestimmt. Dies ermöglicht es, ganz gezielt und auch rücksichtsvoll auf die besonderen Herausforderungen zu reagieren.
Gab es auch kritische Stimmen?
Bisher nicht.
Wie viele Familien begleiten Sie derzeit, und was sind Ihre Ziele für die Zukunft?
Derzeit begleiten wir rund 15 Familien. 2025 sollen es etwa 30 werden.
Wie wollen Sie diese Verdoppelung schaffen?
Durch eine verstärkte Sensibilisierung in der gesamten Auvergne. Wir organisieren zum Beispiel regelmässig Treffen mit lokalen Fachpersonen sowie mit Klientinnen und Klienten und Familien. Zudem nehmen wir an Konferenzen teil und arbeiten mit dem Réseau de Santé Périnatale d‘Auvergne (einem Netzwerk für perinatale Gesundheit) zusammen. Gleichzeitig erhöht unsere Präsenz auf Instagram und anderen Medienkanälen unsere Sichtbarkeit und ermöglicht es, ein breiteres Publikum zu erreichen. So waren wir Thema in Fernsehreportagen auf M6 und in Sendungen in Lokalradios, geben Zeitungsinterviews, nehmen an der Spendengala Téléthon teil und sind während der von verschiedenen Akteuren in der Region organisierten Elternschaftswoche präsent.
Wie wird das Projekt «CAP Parents» finanziert?
Es handelt sich hier um ein nationales und auf mehrere Regionen in Frankreich ausgerichtetes Projekt, dessen Finanzierung durch die Regionale Gesundheitsagentur (ARS) sichergestellt wird. Unterstützung erhalten wir aber auch vom Philanthropie- Netzwerk Fondation de France, das den Kauf von Material finanziert und sich an der Ausbildung unserer Fachpersonen beteiligt.
Waren Sie mit Herausforderungen oder Schwierigkeiten konfrontiert?
Der Austausch mit unseren Partnern und die Frage, wie wir die breite Öffentlichkeit erreichen können, stellen derzeit die grösste Herausforderung dar. Und in rund 80 Prozent der Fälle sind die Beeinträchtigungen für Aussenstehende nicht ohne Weiteres erkennbar, was unsere Arbeit nicht leichter macht.
Arbeiten Sie mit anderen Organisationen zusammen?
Ja. Je nach Bedarf arbeiten wir mit dem Mutterund Kindschutz (PMI), der Kindesschutzbehörde, Schulen, Krippen, Entbindungsstationen und frei praktizierenden Hebammen zusammen. Mit dem Einverständnis der Familien nehmen wir Kontakt zu diesen Partnern auf oder organisieren gemeinsame Treffen.
Welche besonderen Bedürfnisse haben sehbeeinträchtigte Eltern während der Schwangerschaft und nach der Geburt?
Sie brauchen oft Unterstützung bei der Alltagsmobilität, vor allem, wenn das Kind zu laufen beginnt. Ich denke hier zum Beispiel an alltägliche Situationen wie Spaziergänge im Park oder an die Fortbewegung an öffentlichen Orten. Wir unterstützen sie auch mit Büchern in Brailleschrift, mit Audiodateien oder mit barrierefreien Spielsachen. Zudem bieten wir psychologische Beratung, helfen bei der Verwendung von Babyartikeln oder begleiten sie auf die Entbindungsstation.
Über welche Ausbildung verfügen die Fachpersonen, die mit blinden oder sehbeeinträchtigten Eltern arbeiten?
Unsere Mitarbeitenden wurden spezifisch geschult, insbesondere in den Bereichen Mobilität, Ergotherapie und angepasste Pflege für Eltern mit Behinderung. Wir sensibilisieren unser Team aber auch auf Themen wie Tragetechniken oder notwendige Anpassungen im Alltag.
Finden Sie problemlos genügend qualifiziertes Personal?
Leider ist das ganz schwierig. Es gibt zum Beispiel kaum spezifische Kurse für situationsgerechte Tragetechniken. Ferner gibt es nur wenige Mobilitätstrainerinnen und -Trainer, was die Rekrutierung von Fachkräften zusätzlich erschwert.
Könnte Ihr Projekt auch ausserhalb Frankreichs funktionieren? Und wenn ja, was wären die Voraussetzungen?
Ja, das wäre in angepasster Form in anderen Ländern umsetzbar. Die Voraussetzung für ein reibungsloses Funktionieren wäre eine angemessene Finanzierung.
Wie sehen Sie die Zukunft des Projekts?
Es wäre schön, wenn unsere Elternberatungsstelle sowohl in Fachkreisen als auch in der breiten Öffentlichkeit noch bekannter würde und wir noch mehr Familien mit spezifischen Bedürfnissen begleiten könnten. Damit betroffene Familien noch stärker profitieren, möchten wir zudem die gegenseitige Unterstützung und Motivation von Menschen mit Behinderung fördern.
Haben Sie Tipps oder Empfehlungen für ähnliche Organisationen im Ausland?
Anderen Organisationen empfehle ich eine Hospitation bei CAP Parents, um sich mit den Fachpersonen auszutauschen und etwas über die Sichtweisen der begleiteten Familien zu erfahren. Ein solcher Austausch könnte wertvolle Denkanstösse für die Umsetzung ähnlicher Dienstleistungen liefern.