Am vergangenen 9. September lud der Berufsberatungsdienst PORTAILS der Fondation Asile des aveugles in Lausanne zum Symposium Berufliche Integration von Menschen mit Sehbehinderung ein. Auf der Tagesordnung standen abwechslungsreiche Vorträge aus unterschiedlichen Bereichen, ein Austausch zwischen Fachpersonen sowie ein runder Tisch mit Unternehmen aus der Westschweiz. Die Zusammenfassung eines bereichernden Tages.

Von Carol Lagrange

Vor drei Jahren rief das Centre pédagogique pour élèves handicapés de la vue (CPHV) den spezialisierten Berufsberatungsdienst PORTAILS für sehbehinderte Menschen ins Leben. Über diese Plattform werden Betroffene durch Massnahmen zur beruflichen Orientierung und Ausbildung unterstützt und damit in ihrer beruflichen Integration gefördert. Um die laufenden Forschungsarbeiten und Projekte in diesem Bereich vorzustellen, lud PORTAILS Anfang September in Lausanne zu einem eintägigen Fachsymposium ein. Bei dieser Veranstaltung wurde auch zum ersten Mal der Innovationspreis verliehen (siehe Seite …).

Am Vormittag stellte Dr. Karen Wolffe aus den USA die Ergebnisse einer internationalen Studie vor, bei der die Faktoren untersucht wurden, die zu einer erfolgreichen Anstellung von Jugendlichen mit Sehbehinderung führen. Aus der Studie ging hervor, dass 62 Prozent der blinden und sehbehinderten Menschen weltweit erwerbstätig sind. Allerdings ist zu beachten, dass die Studienteilnehmenden vorwiegend aus Industrieländern stammten. Es zeigte sich ferner, dass Fertigkeiten im Umgang mit elektronischen Kommunikationsmitteln zusammen mit dem Erwerb von sehbehinderungsspezifischen Grundkenntnissen (Nutzung des weissen Stocks, der Brailleschrift und taktiler Hilfsmittel) die wichtigsten Faktoren für beruflichen Erfolg sind. Laut der Studie sind aber auch noch andere Dinge wie das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln, die Haltung des Arbeitgebers, die Sozialkompetenz, das Kennenlernen des Arbeitsmarkts durch Praktika im Anschluss an die obligatorische Schulzeit, Autonomie bei der Stellensuche, der Erwerb eines Diploms sowie die Grösse des sozialen Umfelds von Bedeutung. In der Studie wurden zudem zwei Hindernisse für den beruflichen Erfolg genannt, nämlich eine zusätzliche Beeinträchtigung und der Markt in konjunkturschwachen Zeiten.

Am Nachmittag hielt Catherine Rausch vom Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband SBV einen Vortrag zum spezialisierten Job-Coaching. Diese Massnahme wird seit 2018 für eine bessere berufliche Integration von Menschen mit Sehbehinderung angeboten. Ziel ist es, Betroffene bei der Stellensuche und beim Erhalt ihres Arbeitsplatzes zu beraten und zu unterstützen. Unterstützende Job-Coaching-Massnahmen werden auf die jeweiligen Bedürfnisse der betroffenen Personen abgestimmt, z.B. beim Erstellen eines Bewerbungsdossiers oder vor Ort bei Verhandlungsgesprächen mit dem Arbeitgeber. Der Job-Coach fungiert oft als Vermittler, fördert die Vernetzung, sorgt für Entwicklungsmöglichkeiten der Betroffenen (laufendes Projekt) oder setzt sich bei den IV-Stellen dafür ein, dass nach erfolgreichem Erwerb eines Eidgenössischen Berufsattests (EBA) auch Ausbildungen zum Erwerb eines Eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses (EFZ) finanziert werden. Jährlich finden 30 bis 40 Job-Coachings statt, und 2020 ist es 18 Personen gelungen, eine Stelle zu finden oder ihren Arbeitsplatz zu behalten. Nach Abschluss des Job-Coachings ist es wichtig, mit der Beratungsstelle in Kontakt zu bleiben, um z.B. regelmässig die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person zu evaluieren.

Catherine Rausch kam auch auf die beruflichen Erfolgsfaktoren und die Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt zu sprechen, die im Rahmen der SAMS-Studie zum Arbeitsleben von Menschen mit Sehbehinderung (SAMS) ermittelt wurden, und ging auf die verschiedenen daraus abgeleiteten Empfehlungen ein. Arbeitgeber sollten vor allem auf das Risiko einer möglichen Überlastung achten, die übrigen Mitarbeitenden sensibilisieren, sich über technische Hilfsmittel informieren und einen Mentor bzw. eine Mentorin im Unternehmen benennen. Die betroffenen Arbeitnehmenden ihrerseits sollten offen über ihre Sehbehinderung sprechen und kommunizieren, wie sie eine bestimmte Aufgabe angehen und Probleme lösen können. Sie müssen sich über Neuerungen im Betrieb informieren und sich darauf vorbereiten. Überdies sollten die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) eng mit den spezialisierten Beratungsstellen zusammenzuarbeiten, so dass diese ihre Kund/-innen über die Faktoren informieren können, die eine Aufrechterhaltung der beruflichen Tätigkeit begünstigen bzw. gefährden und die Wichtigkeit von Weiterbildungen betonen.

Auf den fachspezifischen Teil der Veranstaltung folgte ein anregender Austausch mit Unternehmen aus der Westschweiz, der von Aline Leavy, Verantwortliche für den Berufsberatungsdienst PORTAILS, organisiert wurde. Ziel war es, diesen Unternehmen die Vorteile einer Anstellung von blinden oder sehbehinderten Menschen sowie die damit verbundenen notwendigen Anpassungen aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang konnte Catherine Rausch den potenziellen Arbeitgebern auch das Job-Coaching-Angebot präsentieren und für Diversitätsmanagement werben. «Man muss die Person mit Sehbehinderung und vor allem das, was sie an Qualitäten und Fähigkeiten einbringen kann, ganzheitlich betrachten. Es geht darum, die eigenen Arbeitsmodelle zu flexibilisieren, Teams zu sensibilisieren und eine von Transparenz geprägte Unternehmenskultur zu leben. Behinderung darf nicht tabuisiert werden.» Frau Rausch erklärte weiter, dass Betroffene bei entsprechender Anpassung des Umfelds sämtliche Tätigkeiten ausführen können. «Es ist wichtig, dass der oder die betroffene Mitarbeitende eine Ansprechperson hat. Zur Finanzierung der Eingliederungsphase kann der Arbeitgeber auch Leistungen vonseiten der IV-Stelle in Anspruch nehmen oder sonstige regelmässige Hilfestellung erhalten. Es gilt, berufsspezifische Weiterbildungen anzubieten und eine mögliche Arbeitsüberlastung direkt anzusprechen.» Yvan Cochard, Leiter des Bereichs Unternehmen und Wiedereingliederung der IV-Stelle des Kantons Waadt, erläuterte anschliessend, welche Massnahmen die IV-Stelle treffen und wie diese die Unternehmen im Einstellungsprozess begleiten und unterstützen kann.

Danach berichteten ein Arbeitgeber und eine sehbehinderte Person über ihre Erfahrungen. Schliesslich konnten die Unternehmen am runden Tisch über ihre Befürchtungen sprechen und Fragen stellen. Einige baten um spezifische Orientierungshilfen, damit sie nicht in die Vorurteilsfalle tappen. Andere wiesen auf das Problem hin, dass sehbehinderte Personen ihre Behinderung oft gar nicht erwähnen und man daher ihren Bedürfnissen möglicherweise unbeabsichtigt nicht Rechnung trägt. Die Angst, etwas falsch zu machen, fehlende Kenntnis der verfügbaren Hilfsmittel, Sicherheitsaspekte (z.B. Datensicherheit in Zusammenhang mit genutzten Hilfsmitteln oder Sicherheit des betroffenen Mitarbeitenden bei Baustellen im oder am Betriebsgebäude) sind einige der Punkte, die bei diesem motivierenden und zur Förderung der beruflichen Integration blinder und sehbehinderter Menschen unverzichtbaren Austausch angesprochen wurden.

Innovationspreis

Anlässlich des Symposiums wurde zum ersten Mal der Innovationspreis verliehen, mit dem neue Ansätze, welche die berufliche Integration ermöglichen, belohnt und gefördert werden.

Der erste Preis ging an ein Projekt zur Entwicklung einer Lösung für die automatische Schulbuchkonvertierung. Da digitales Lehrmaterial heute noch kaum die Standards für Barrierefreiheit erfüllt und daher für Lernende mit Sehbehinderung nur schwer zugänglich ist, haben die HE Arc/FH Westschweiz und das CPHV ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, um Fachpersonen für Transkription/Adaption durch künstliche Intelligenz in ihrer manuellen und zeitaufwändigen Bearbeitungstätigkeit zu unterstützen. Ziel ist es nun, eine entsprechende Lösung auch Lernenden mit Sehbehinderung zur Verfügung zu stellen, damit diese selbstständig zugängliche Inhalte generieren können.

Der zweite Preis wurde dem Verein pretac+ verliehen, der in einem Pilotprojekt zur taktilen Brustkrebsvorsorge blinde oder sehbehinderte Frauen zu Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTU) nach der Methode von discovering hands® ausbildet. Vier blinde oder sehbehinderte Frauen konnten bereits mit diesem Ausbildungsgang beginnen, der von zwei Ausbildner/-innen geleitet wird. Dank dieser Ausbildung in der discovering hands®-Methode können künftige MTUs in der Schweiz Frauen jeden Alters (und insbesondere Frauen unter 50 Jahren) Untersuchungen zur Brustkrebsfrüherkennung anbieten.

Der dritte Preis ging an den Bereich Job-Coaching des SBV für das Pilotprojekt Videobewerbung zur Gestaltung von Präsentationsvideos für blinde oder sehbehinderte Stellensuchende. Ein solches Video, das als Ergänzung zu den üblichen Bewerbungsunterlagen verschickt wird, ermöglicht es Betroffenen, auf aussagekräftige und unkomplizierte Weise zu veranschaulichen, wie sie dank Schulung, Hilfsmitteln und spezifischen Arbeitstechniken ihre beruflichen Aufgaben erfüllen und ihre Fähigkeiten gewinnbringend einsetzen können. Damit erhöhen sie ihre Chancen auf ein Vorstellungsgespräch und somit auf einen Arbeitsplatz. Ein solches Video hilft aber auch, bei potenziellen Arbeitgebern Ängste und Vorbehalte abzubauen.