Balanceakt zwischen Betreuung und Begleitung
Lia Häfliger geht in die erste Klasse in einer Regelschule in Cham. Sie ist 7 Jahre alt und seit Geburt blind. Ihre Eltern, Daniela und Silvan Häfliger, haben früh den Wunsch gehabt, dass Lia integrativ beschult wird. Ein Erlebnisbericht, der anderen Mut machen kann.
„Da Lia seit Geburt vollblind ist, standen wir früh im Kontakt mit dem SONNENBERG in Baar. Wir haben bereits mit den Kontaktpersonen der Frühförderung abgeklärt, wie die Perspektiven sind und was es zu beachten gilt, wenn Lia in die Regelschule geht. Wir haben dann frühzeitig mit der Schule in Cham Kontakt aufgenommen und sind dort auf sehr offene Ohren gestossen.
Nach der ersten Kontaktaufnahme hat es früh ein Gespräch mit der Schulleitung gegeben an dem alle Fachpersonen und wir beteiligt waren. Niemand in der Schule konnte auf Erfahrungen mit der Integration einer blinden Schülerin zurückgreifen. So haben wir dann Schritt für Schritt gemeinsam die Sache in Angriff genommen. Die Gemeinde hat Leitlinien über den Pausenplatz gezogen, damit Lia den Schulweg möglichst selbständig gehen kann. Und im Schulhaus konnten kleine Anpassungen wie Markierungen ohne bauliche Veränderungen realisiert werden.
Um die Lehrerinnen und Lehrer auf die besonderen Bedürfnisse von Lia aufmerksam zu machen, haben wir einen Teil der Sensibilisierung übernommen und einen anderen Teil hat der SONNENBERG geleistet. Für uns ist es ein grosser Vorteil gewesen, dass die Fachpersonen des SONNENBERG seit dem Kindergarten die gleichen geblieben sind. Lia wird unterstützt von einer schulischen Heilpädagogin vom Sonnenberg, von einer O&M und LPF Fachperson und von einer Klassenassistenz, die abwechslungsweise anwesend sind. Wir haben da viel Glück, dass wir auf Menschen getroffen sind, die bereit sind, ein Mehr an Aufwand zu betreiben, um Lia zu fördern.
Lia ist nun vier Tage die Woche in der Regelschule und einen halben Tag im SONNENBERG in Baar. Dort wird sie spezifisch gefördert. Sie kann Brailleschrift lesen und macht auch schon erste Schritte in der Kurzschrift. Sie kann mit dem Computer umgehen und Braillezeile und Sprachausgabe verwenden. So kann sie in der Klasse den gleichen Text lesen wie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler – einfach in Brailleschrift.
Eine Herausforderung stellt für uns dar, eine Balance zu finden zwischen Betreuung und Begleitung. Ja, Lia braucht mehr Unterstützung, aber man darf von ihr auch etwas fordern und verlangen. Wir wollen nicht, dass sie über die Maassen betreut wird. Das ist auch im Umgang mit den Mitschülerinnen und Mitschülern wichtig. Lia soll als Mitschülerin wie jede andere wahrgenommen werden, auch wenn sich durch die Blindheit besondere Bedürfnisse ergeben.
Wir sind voll und ganz überzeugt, dass Lia in der Regelschule am richtigen Ort ist. Aber wir wollen nicht unerwähnt lassen, dass der Aufwand im Vergleich zur Sonderschule grösser ist. Eine integrative Sonderschulung (Regelklasse) erfordert von den Eltern ein höheres Engagement und mehr Eigeninitiative und zwar auf organisatorisches, koordinativer und inhaltlicher Ebene. Vieles ist neu und muss erst erarbeitet werden, auch von uns Eltern. Im Gegensatz dazu sind die Abläufe in der Sonderschule eingespielter, der Erfahrungsschatz grösser und die Organisation zentraler.“