Aus dem SZBLIND: Forum Hörsehbehinderung
Am 3. Forum Hörsehbehinderung Schweiz trafen sich die Fachleute des Hörsehbehindertenwesens in der Schweiz. Im Mittelpunkt stand das Thema Interessenvertretung, über das Sanja Tarczay, Präsidentin der European Deafblind Union (EDbU) referierte und das am Nachmittag in Workshops verschiedentlich aufgenommen wurde.
Von Nina Hug
„Für unsere Interessen – gegen Barrieren“ lautete der Titel der Tagung, gemeinschaftlich organisiert von der Stiftung tanne und dem SZBLIND. Entsprechend ging Sanja Tarczay in ihrem Vortrag darauf ein, wie wichtig eine spezifische Unterstützung für Menschen mit einer Hörsehbehinderung oder Taubblindheit ist. In den meisten europäischen Ländern gebe es Unterstützung für sehbehinderte und Unterstützung für hörbehinderte Menschen. Aber diese Services seien nicht kompatibel mit den konkreten Bedürfnissen hörsehbehinderter Menschen. Für die Unterstützung von hörsehbehinderten Menschen und deren Teilhabe an der Gesellschaft brauche es Dolmetscher, die spezifisch für die Situation hörsehbehinderter Menschen geschult seien. Sie selber habe die konkrete Erfahrung machen müssen, dass die Schule für Gehörlose ihr nicht mehr weitehelfen konnte, als ihre Sehbehinderung zur Hörbehinderung dazu kam. Sie sei persönlich stark auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen gewesen, um weiter lernen zu können.
Damit hörsehbehinderte Menschen unabhängiger und selbständiger teilhaben könnten, brauche es aber das Engagement der hörsehbehinderten Menschen selber. „Betroffene haben das beste Wissen, was ihnen hilft und was sie benötigen, um dabei zu sein.“ So ist das Motto der EDbU auch „Nichts über uns ohne uns.“
Mit Erschrecken habe sie daher vernommen, dass es die Selbsthilfe der hörsehbehinderten Menschen in der deutschen Schweiz, tactile, nicht mehr gibt. Sanja Tarczay machte Mut, dass sich auch Betroffene für ihre Belange einsetzen. Sie befürchte sonst eine Bevormundung durch die Hörenden und Sehenden, die die Interessen vertreten. „Hörsehbehinderte Menschen müssen gegenüber der Politik und in der Öffentlichkeit selber sichtbar werden“, sagte Sanja Tarczay.
Die European Deafblind Union habe seit ihrer Gründung 2003 in Dänemark auf europäischer Ebene bereits einige Forderungen für die Verbesserung der Situation hörsehbehinderter Menschen umsetzen können. Zum Beispiel, dass Taubblindheit als eigenständige Behinderung anerkannt wurde. Erreicht worden sei dies, indem man Taubblindheit sichtbar gemacht habe. Zum Beispiel an einem Parlamentarier-Frühstück des Europäischen Parlaments oder via Allianzen mit den zwei gehörlosen EU-Parlamentsmitgliedern oder mit einer Konferenz am Tag der Taubblindheit. Die Schwerpunkte der Arbeit der EDbU seien heute das Lobbying für eine eigene Ausbildung für hörsehbehinderte Menschen und für den Zugang zu Informationen als Basis für die Bildung. Auch fordere die EDbU den Einbezug taubblinder und hörsehbehinderter Menschen in die politische Arbeit der EU. Daneben setze sich die EDbU ein für die internationale Zusammenarbeit zwischen den Organisationen, die sich mit Taubblindheit befassen.
Am Nachmittag bauten drei Workshops auf die Inputs und Diskussionen des Vormittags auf. Im Workshop „Die Wichtigkeit der richtigen Unterstützung zur richtigen Zeit für hörsehbehinderte und taubblinde Menschen“, wurde darauf eingegangen, dass es viele Kommunikationsformen von hörsehbehinderten Menschen gibt, je nachdem welche Sinne in welchem Ausmass zur Kommunikation zur Verfügung stehen. Mit diesen Kommunikationsformen identifizierten sich die Betroffenen und bildeten deshalb eigene Gruppen, hiess es im Workshop. Trotz dieser Unterschiede in der Art der Kommunikation seien aber alle von der Beeinträchtigung der Kommunikation, dem erschwerten Zugang zu Information und Einschränkungen in der Mobilität betroffen. Es wurde daher vorgeschlagen, nicht die medizinischen, sondern die sozialen Fähigkeiten als Ausgangsbasis für die Definition der Bedürfnisse heranzuziehen.
Im Workshop „Make a noise – politisch hörbar am 27. Juni 2019“ zielten Mirko Baur, Gesamtleiter der Tanne, und Peter Haberstich von der Agentur Feinheit AG darauf ab, gemeinsam mit den Teilnehmenden von der Zielformulierung bis zur Massnahmenplanung eine politische Aktion für den Tag der Taubblindheit zu definieren. Aus dem Brainstorm-Workshop heraus, der 3 potentielle Ideen generierte, formierte sich eine Arbeitsgruppe, die nun eine konkrete Zusammenarbeit des SZBLIND und der Tanne für den Tag der Taubblindheit im Jahr 2020 vorbereitet.
Im dritten Workshop mit Gerd Bingemann, Interessenvertreter des SZBLIND, wurde diskutiert, wie eine wirkungsvolle Interessenvertretung aussehen könne. So würde die Interessenvertretung davon profitieren, mehr zu agieren als zu reagieren. Die sehbehindertenspezifischen Bedürfnisse müssten mit konstruktiven Vorschlägen in Entscheidungsprozesse eingebracht werden und sollten sich in der Begründung auf bestehende Gesetze beziehen. Auch könne es helfen, die Anliegen durchzusetzen, wenn sehbehindertenspezifische Anpassungen positive Effekte für die Gesamtbevölkerung haben.
Kasten
Die Unterscheidung zwischen Fach- und Selbsthilfe war am Samstag nach dem Forum Thema bei einem Treffen von Sanja Tarczay mit betroffenen hörsehbehinderten Menschen, organisiert durch die Fachstelle Hörsehbehinderung und Taubblindheit in Lenzburg. Sanja Tarczay vermittelte den Teilnehmenden, warum sich niemand besser für die Bedürfnisse taubblinder Menschen einsetzen könne, als die Betroffenen selber. Aus dem Treffen heraus wurde das nun im Februar stattfindende Forum zur Selbsthilfe für hörsehbehinderte und taubblinde Menschen angeregt.
Kasten: SZBLIND und modernisierte Begriffe
Um die Verwechslung mit anderen Organisationen des Blindenwesens (wie SBV und SBb) zu reduzieren, hat der Vorstand des Schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen entschieden, die Abkürzung SZB durch die Verwendung der Wortmarke SZBLIND zu ersetzen.
Viele Begriffe für die Sparten sowie Funktionen im SZBLIND sind über Jahre nicht mehr erneuert oder dann ohne gesamtheitlich festgelegte Systematik neu eingeführt worden. Da sich viele Begriffe in den letzten Jahren im nationalen und internationalen Umfeld gewandelt haben, führt der SZBLIND ab dem kommenden Jahr diverse neue und aktuellere Bezeichnungen für die einzelnen Bereiche und auch für die Funktionen der Mitarbeitenden ein. Zusammengefasst heissen zum Beispiel die Bereiche neu: Geschäftsleitung, Finanzen und IT, Bildung und Forschung, Marketing und Kommunikation, Fachstelle Hörsehbehinderung und Taubblindheit, Fachstelle Hilfsmittel und Fachstelle Low Vision.