Aus dem SZB
Partizipation trotz Taubblindheit: Zweites Forum Hörsehbehinderung war ein grosser Erfolg
Ende Oktober fand das zweite Forum Hörsehbehinderung Schweiz in Bern statt. Es machte auf die besonders gefährdete Teilhabe von Menschen mit Hörsehbehinderung und zugleich auf Erfolge in der Partizipation trotz Taubblindheit aufmerksam – mit intensiven Referaten und facettenreichen Workshops. Organisatoren und Teilnehmende äusserten sich sehr zufrieden.
Von Ann-Katrin Gässlein
Eröffnet wurde das zweite Treffen aller Schweizer Fach- und Selbsthilfeorganisationen für Hörsehbehinderung vom Berner Regierungsrat Pierre Alain Schnegg, Vorsteher der Gesundheits- und Fürsorgedirektion. Eingeladen zum Treffen in der Bundeshauptstadt hatten die Schweizerische Stiftung für Taubblinde, Tanne, und der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen SZB. Den Auftakt des Tages bildete das Referat von Dr. Caroline Hess-Klein, Leiterin der Abteilung Gleichstellung bei inclucion Handicap und Lehrbeauftragte im Fach Öffentliches Recht an der Universität Basel.
Für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung gibt es in der Schweiz verschiedene Grundlagen: Zunächst ist sicher die Schweizerische Bundesverfassung zu nennen, die ein grundsätzliches Diskriminierungsverbot ausspricht, dann das Behindertengleichstellungsgesetz (bekannt als BehiG) mit seinen Verordnungen, und neben Spezialgesetzen für Radio und TV oder der kantonalen Gesetzgebung schliesslich die UN-Behindertenrechtskonvention BRK, Diese ist in Schweiz seit Mai 2014 in Kraft. Die UN-BRK signalisiert einen fundamentalen Perspektivenwechsel beim Thema Behinderung. Die Präambel besagt, dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht. Erst diese Barrieren hindern die Menschen an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft. Also liegt es an der Gesellschaft, diese Barrieren wo immer möglich, zu beseitigen!
Dr. Caroline Hess-Klein führte in einem sachkundigen Referat durch die Geschichte der Behindertengleichstellung auf rechtlicher Ebene. Sie zeigte zunächst anhand von Alltagsbeispielen aus der Praxis, wo Ausgrenzung und Ablehnung nach den Bestimmungen der UN-BRK nicht zulässig sind. Dann erläuterte sie verschiedene Artikel der UN-BRK und zählte anschliessend auf, wo es in der Schweiz noch Mängel gebe bei der Umsetzung der UN-BRK. Im Bereich der Zugänglichkeit sind beispielsweise Probleme im Wohnungsbau nachweisbar; es gibt keine Abnahmekontrolle nach dem Baubewilligungsverfahren, und Menschen mit Behinderung sind ungenügend vor Diskriminierung durch Private geschützt.
Bei der Frage der unabhängigen Lebensführung und der grösstmöglichen Ausübung von Autonomie – ein wichtiger Punkt der UN-BRK – stellte Caroline Hess-Klein fest, dass die Unterstützung der Menschen mit Behinderung nach wie vor hauptsächlich durch die Finanzierung von Strukturen geschehe, nicht der Person. Familienangehörige, die Assistenzleistungen und Pflege erbringen, werden nicht honoriert und zu wenig entlastet. Und von echter Wahlfreiheit bei der Lebensführung lasse sich angesichts des beschränkten Angebots an alternativen Wohnformen noch nicht sprechen.
Caroline Hess-Klein beschloss ihr Referat mit der Feststellung, dass es eine von Bund, Kantonen und Behindertenorganisationen gemeinsam erarbeitete Nationale Behindertenpolitik brauche, die an die Verpflichtungen der UNO-BRK anknüpfe.
Am Nachmittag des Zweiten Forums Hörsehbehinderung Schweiz waren die Teilnehmenden gefordert:
Mit spielerischen Theatereinlagen aus der Praxis und aus dem Alltag erläuterten Anita Rothenbühler (tactile) und Catherine Hutter (Gersam) das Engagement der Selbsthilfeorganisationen und die dort entwickelte Kommunikationskultur für hörsehbehinderte und taubblinde Menschen. Stephan Hüsler (Retina Suisse) diskutierte mit den Teilnehmenden, wo die Herausforderungen liegen, damit Menschen mit Hörsehbehinderung ihre politischen (!) Rechte ausüben können- Dabei wurden Vorschläge wie die Erstellung barrierefreier Abstimmungsunterlagen oder die Übertragung von Sendungen wie „Arena“ zur politischen Meinungsbildung gesammelt.
Françoise Gay Truffer (FRSA) zeigte die Bemühungen auf, Menschen, die unter Beistandschaft stehen, eine Stimme zu geben – in diesem sensiblen Kontext ist die Rolle des gesetzlichen Vertreters sehr wichtig. „Sinn-Voll partizipieren“ hiess der Workshop von Eva Keller und Mirko Baur (Tanne), in dem anhand von Filmbeispielen gezeigt wurde, was ein sinnesbehinderter Junge und seine Betreuerin beim Besuch einer Waschküche wahrnehmen, die sich zu einem Ort der Experimente, des Spiels, der Kommunikation und der Förderung verändern kann. Und Astrid Gassmann und Beat Marchetti (SZB) zuletzt stellten den Assistenzbeitrag der IV vor, der die Autonomie von Menschen mit Hörsehbehinderung beträchtlich steigern kann – wenn es gelingt, die verschiedenen Stolpersteine zu erkennen und zu umgehen.
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August Bohny gestorben
August Bohny, ehemaliger Präsident und Ehrenpräsident des SZB, ist am 18. August im Alter von 97 Jahren in Basel gestorben. August Bohny war während 16 Jahren, von 1979 – 95, Präsident des SZB und als Präsident viele Neuerungen und Entwicklungen im SZB initiiert, mitentschieden und mitgetragen. So absolvierten 1984 Fachleute aus der Schweiz zum ersten Mal einen Low Vision-Rehabilitationskurs in Schweden. Daraufhin entwickelte sich dieser Rehabilitationsbereich in der Schweiz rasant und im SZB entstand die Fachstelle für optische Hilfsmittel und Low Vision. Ein Anliegen war ihm auch das Fort- und Weiterbildungsangebot für Fachleute, dass kontinuierlich erweitert wurde. Im 1986 entschied sich der SZB, eine Ludothek für blinde und sehbehinderte Menschen aufzubauen. Sie wird seit einigen Jahren vollständig von der Blindenschule Zollikofen getragen. Auch der Aufbau, zusammen mit Mitgliedorganisationen, von regionalen Hilfsmittelvertriebsstellen, fiel in seine Präsidentschaft.
August Bohny wurde auch verschiedentlich geehrt durch seinen engagierten Einsatz in Frankreich, als er als Flüchtlingshelfer im zweiten Weltkrieg zahlreichen Kindern das Leben rettete. Wir sind August Bohny für seinen unermüdlichen Einsatz zugunsten blinder, sehbehinderter und hörsehbehinderter Menschen zu grossen Dank verpflichtet und werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Seinen Hinterbliebenen entbieten wir unser herzliches Beileid. Stefan Zappa, Präsident / Matthias Bütikofer, Geschäftsführer.