Engagement für die Blindenschrift

Mehr als 50 Jahre prägte Dr. Rose-Marie Lüthi-Kreibich das Blindenwesen in der Schweiz und im Ausland. Am 23. Juni 2018 wurde sie für Ihr Engagement mit der Ehrenmitgliedschaft des Schzweizerischen Zentravereins des Blindenwesens geehrt. Im Folgenden lesen Sie die Laudatio von Helene Zimmerman, Vorstandsmitglied des SZBLIND für Rosemarie Lüthi-Kreibich.

 

Rosemarie Lüthi-Kreibich tient son certificat de membre d‘honneur dans la main.

Photo: UCBA

Liebe Rosmarie, liebe Delegierte, liebe Gäste, liebe Begleitpersonen

Wer im Blindenwesen tätig ist, begegnete bestimmt irgendwann Frau Dr. Rose-Marie Lüthi-Kreibich. Mehr als 50 Jahre lang hat sie das Blindenwesen der Schweiz und auch im Ausland durch ihre Persönlichkeit und ihr Engagement geprägt.

Persönlich traf ich sie erstmals an einer Veranstaltung bei der Ostschweizerischen Blindenfürsorge. Als damaliges Vorstandsmitglied erkannte ich bald, dass diese Frau durch ihre eigene Betroffenheit klar auf den Punkt bringen kann, welche Bedürfnisse blinde Menschen haben.

Nach meiner eigenen Erblindung Ende 1998 lernte ich Rose-Marie besser kennen. Wie sie es damals schaffte, mich von der Blindenschrift zu überzeugen, ist mir heute noch ein Rätsel. Rose-Marie war nicht einfach nur meine geduldige Blindenschriftlehrerin. sie hat mir persönlich viel zur Bewältigung meines veränderten Alltags als Blinde mit auf den Weg gegeben. Mit der nötigen Prise Humor hielt sie mich immer über News und Zusammenhänge im Blindenwesen auf dem aktuellsten Stand.

Zielstrebigkeit, Erkennen der besonderen Bedürfnisse blinder Menschen und Erarbeitung von Fachwissen waren auch auf ihrem eindrücklichen Ausbildungsweg ihre Ressourcen. Mit den damaligen Möglichkeiten, also vor dem Computerzeitalter, machte sie mit ihrer Behinderung die Matura, studierte an einem Lehrerseminar und am Heilpädagogischen Seminar. Als blinde Studentin schloss sie das Studium an der Universität Zürich mit dem Doktorat ab. Im Rahmen ihrer Dissertation befasste sie sich mit der Bedeutung des Hörens bei blinden Menschen.

Ihr Werdegang ist sicher einmalig und zeigt ihren enormen Willen, der sie selbst, aber auch die Denkweise im Blindenwesen vorwärts gebracht hat. Was ich an Rose-Marie besonders schätze, ist ihr Wissen und dass sie auch als Frau Doktor der Philosophie immer auf Augenhöhe bleibt. So betont sie, dass sich Massnahmen und Hilfsmittel an „Otto Normalverbraucher“ ausrichten müssen und nicht nur am Können von Spezialisten.

Mit ihren Geschichten über das Engagement für sehbehinderte und blinde Menschen könnte man mehrere Bücher schreiben. Zwei Schwerpunkte dieses einmaligen Schaffens möchte ich hervorheben, nämlich die Blindenschrift und ihr grosses Engagement im Rahmen von Freiwilligenarbeit.

Besonders geprägt hat Rose-Marie die Chance der Blindenschrift. Weil sie diese geniale Schrift als der Schlüssel zur Bildung erkannt hat, hat sie die „wichtigen Punkte“ zu ihrem Beruf und Hobby gemacht. Im In- und Ausland hat sie mit ihrem kompetenten Fachwissen den Gebrauch und die Weiterentwicklung der Blindenschrift mit grosser Leidenschaft geprägt. Als Lehrerin hat sie beim Erlernen der Punktschrift unzählige Schülerinnen und Schüler mit spannenden Texten zum Lesen motiviert. Sicher war sie für zahlreiche Lernende Vorbild. Ich erinnere mich an kein Gespräch mit ihr, ohne dass sie von dem spannenden Krimi erzählt, den sie gerade verschlingt. Das Tempo, das sie für ihre Notizen beim Tafelschreiben hat, macht ihr kaum so schnell jemand nach. Auch ihre meist selbstaufgebaute Sammlung von Übungsmaterial und Texten wurde im Verlauf der vielen Jahre als Blindenschriftlehrerin enorm umfangreich.

1979 wurde die engagierte Punktschriftlehrerin, die bei der Ostschweizerischen Blindenführsorge in St. Gallen arbeitete, in den Vorstand des Schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen gewählt. Eine grosse Ehre war für sie, dass sie zu dessen 75-jährigem Jubiläum in St. Gallen die Festrede halten durfte.

Die Zusammenarbeit zwischen sehenden und blinden Vorstandsmitgliedern war damals anders als heute, da Gleichstellung noch kaum ein Thema war. 1981, das Internationale Jahr der Behinderten, wurde genutzt, um ein Zeichen zu setzen.  Betroffene Vorstandsmitglieder waren mit der Behandlung gewisser Traktanden und der Form der SZB-Unterlagen nicht zufrieden. Im Vorfeld einer Sitzung fasste sie zusammen mit anderen betroffenen Vorstandsmitgliedern den Beschluss, dass sich das ändern muss. Damit die Sehenden erfahren, wie unangenehm es ist, sich Unterlagen vorlesen lassen zu müssen, schrieb Rose-Marie den Beschluss „nur“ in Punktschrift. Diese „Lektion à la Rose-Marie“ zeigte Wirkung. Künftig wurden die SZB-Sitzungsunterlagen zeitnah von der SBS in die Punktschrift übertragen. Mit diesem markanten Zeichen erzielte sie einen Riesenschritt in Richtung Gleichberechtigung.

Ihr ehernamtliches Engagement ging jedoch viel weiter als die eigentliche Tätigkeit im SZB-Vorstand.

Anfänglich arbeitete sie einige Zeit im Vorstand der Regionalgruppe Zürich des Schweizerischen Blindenbundes mit.  Nachher prägte sie während 34 Jahren die Regionalgruppe Ostschweiz als Präsidentin. 2017 trat sie von diesem Amt zurück.

Zwischen 1996 und 2017 war sie Präsidentin der Deutschschweizer Blindenschriftkommission. Ihr war es ein grosses Anliegen, dass die Punktschrift von sehbehinderten und blinden Menschen nicht selber erlernt werden muss, sondern in der ganzen Schweiz von ausgebildeten Lehrkräften vermittelt wird.

Als Präsidentin der Blindenschriftkommission hat sie u.a. federführend an der Konzipierung des Curriculums für die Ausbildung der Blindenschriftlehrkräfte mitgewirkt. Engagiert setzte sie sich immer dafür ein, dass der Punktschriftunterricht ein sinnvolles Arbeitsfeld für betroffene Punktschriftlehrkräfte bleibt.

Lange Zeit leitete sie auch die SZB-Hilfsmittelkommission, da ihr Hilfsmittel immer sehr wichtig waren und auch jetzt noch sind. Bevor es den Farberkenner gab, entdeckte sie z. B. die Punktschriftmarkierung bei Kleidern als grosse Hilfe zur Selbstständigkeit.

2005 trat Rose-Marie nach 26 Jahren aus dem SZB-Vorstand zurück, um Zeit und Raum für neue Herausforderungen schaffen zu können. Nachfolgend war sie beim Schweizerischen Blindenbund von 2006 bis 2017 Co-Präsidentin im Gesamtvorstand.

Rose-Marie, wir freuen uns, dir die Ehre erweisen zu dürfen und danken Dir herzlich für Deinen unermüdlichen  und einmaligen Einsatz.