Schwerpunkt: Ein schwerer Weg
So unterschiedlich die seltenen Augenkrankheiten sind, so individuell ist der Weg zur Diagnose und sind die Möglichkeiten einer Therapie. Wir porträtieren zwei Betroffene: Aileen Fischer (2) ist vom Retinoblastom betroffen. Arno Tschudi (51) lebt mit der Erbkrankheit Retinitis Pigmentosa.
Von Nina Hug
Aileen ist drei Monate alt, da bemerkt ihre Mutter, Damaris Fischer, dass mit einem Auge ihrer Tochter etwas nicht stimmt. Aileen ist als eines von jährlich etwa 3-4 Kindern in der Schweiz vom Retinoblastom betroffen, einem bösartigen Tumor der Netzhaut des Auges.
„Ich hatte festgestellt, dass Aileen schielt. Je nach Lichteinfall erschien mir zudem das eine Auge wie durchsichtig. Diese spezielle Eigenschaft an Aileens Auge wurde immer deutlicher. So fing ich an, mich zu informieren und stiess dann via Google auf den Retinoblastom-Krebs. Aufgrund der Beschreibungen, die ich gefunden hatte, war es für mich bald einmal klar, dass dies alles auf Aileen zutrifft. Als auch der Blitz-Test (beim Foto des Kindes mit Blitzfunktion erscheint darauf ein Auge rot und das andere weiss) positiv war, haben wir sofort mit dem Kinderarzt Kontakt aufgenommen.
Wir sind sehr froh, dass uns unser Kinderarzt sofort ernst genommen hat. Von anderen betroffenen Familien, die wir unterdessen kennengelernt haben, haben wir auch anderes gehört. Aileen wurde fortan im Hôpital Ophtalmique in Lausanne behandelt. Wir haben grosses Glück, dass Aileen die sogenannte „interarterielle Chemo“ machen kann. Diese wirkt direkt am Auge und nicht wie die „systemische Chemo“ überall im Körper.
Während der ersten sechs bis zwölf Monaten ist die Gefahr am grössten, dass neue Tumore entstehen. Nachher sollten diese dank der Therapie abnehmen und dadurch werden auch die Abstände zwischen den einzelnen Klinikbesuchen etwas länger. Die Therapie sollte mit rund 5 bis 6 Jahren abgeschlossen sein – die Heilungschancen betragen 96%.
Unser Weg in den nächsten Jahren bleibt sehr anstrengend und belastend, doch wir gehen ihn zuversichtlich. Wir halten uns an Aileen fest. Sie ist es, die das Ganze durchmachen muss und dabei ist sie so stark und zeigt so viel Freude am Leben.
Die letzte Chemotherapie war am 27. September 2017. Seit Dezember 2017 ist Aileen behandlungsfrei und es gab keine weiteren neuen Tumore. Da die Abstände der Besuche grösser geworden sind, hat Aileen genügend Zeit, sich von den Untersuchen zu erholen.
Aileen ist nun bald zwei Jahre alt. Sie ist nach wie vor ein aufgestelltes, fröhliches und interessiertes Mädchen, das genau weiss, was es will. Was sich zurzeit eher schwierig gestaltet, ist das Abdecken des gesünderen Auges, damit das erkrankte Auge gefördert wird. Dies mag sie gar nicht. Die vier Stunden täglich sind für uns alle deswegen sehr anstrengend. Wenigstens wissen wir, dass sich das Sehvermögen bereits verbessert hat und dass sich das Abdecken des linken gesünderen Auges lohnt.
Jeden Donnerstag kommt zudem jemand von Low Vision für eine Stunde zu uns nach Hause, um mit Aileen zu spielen. Wir haben schon einige Tipps bekommen, wie wir mit der Beeinträchtigung ihres Sehvermögens am besten Umgehen und sie auch fördern können.“
Das Interview mit Damaris Fischer und ihrem Partner Livio Caplazi wurde uns zur Verfügung gestellt durch www.dieangelones.ch.
Arno Tschudi aus Untervaz erfuhr im Alter von 28 Jahren, dass er von der Erbkrankheit Retinitis Pigmentosa betroffen ist. Bis er die Krankheit und die schleichende Erblindung akzeptieren konnte, war es ein langer Weg, erzählt er:
Als Kind merkte ich, dass ich etwas schlechter sah als andere. Ich war kurzsichtig und Farbenblind.
Als ich älter wurde, kam hinzu, dass ich nachts immer schlechter sah. Das hat mich gestresst, insbesondere beim Militär bei den Nachtübungen. Oder bei der Autoprüfung: Ich wusste, dass ein Untersuch beim Optiker dafür nötig ist und habe nur gehofft, dass da alles gut geht. Ich wollte unbedingt den Führerausweis machen! Der Optiker stellte mir zwar die Bescheinigung für den Führerausweis aus, schickte mich aber zur Abklärung zum Augenarzt. Diesen Rat habe ich ignoriert – der Führerausweis war das wichtigste und den konnte ich machen, basta.
Als ich mit der Zeit jeden Abend über den gleichen Randstein gestolpert bin, ging ich doch zum Augenarzt. Er sagte mir, ich leide an einem unkorrigierbaren Augenleiden. Jedoch erkannte er keine Krankheit. Erst als mein Bruder die Diagnose RP erhielt, wusste ich, dass es dies auch bei mir sein musste. Was sich dann im Alter von 28 Jahren bestätigte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich bis auf die Kurzsichtigkeit und Nachtblindheit keine weiteren Symptome. Gottseidank gab es damals noch kein Internet, dann wäre ich am anderen Tag schon Blind gewesen. So habe ich die Krankheit lange wissentlich ignoriert. Ich wollte nur ein normales Leben führen. Mehr erwartete ich nicht.
Ich versuchte mit aller Kraft mein normales Leben aufrecht zu erhalten und mit viel Kompensation und Tricks meinem Beruf als Bauspengler weiter nachzugehen. Aber irgendwann reichte die Energie nicht mehr. Zögerlich bin ich dann doch zur Beratungsstelle für Blinde und Sehbehinderte gegangen. Was für ein schrecklicher Name! Hier half man mir bei den Abklärungen für den IV-Bezug. Als die IV festhielt, dass ich 100% arbeitsunfähig bin, hatte ich das Gefühl vollkommen nutzlos zu sein.
Aufwärts ging es erst wieder, als meine Frau mir vorgeschlagen hat, einen Blindenführhund zu nehmen. So kam ich in Kontakt mit anderen Betroffenen, lernte mit dem Langstock umzugehen und mein Leben kam zurück.
Seit ich die Krankheit akzeptiert habe, sind es nur noch die Sehenden, die sich wünschen, ich könnte wieder sehen.
Heute führe ich gemeinsam mit meinem Hund Balou für die Blindenführhundeschule in Goldach und den SBV Sensibilisierungen durch und vertrete die Interessen blinder und sehbehinderter Menschen in allen Belangen. In dieser Arbeit habe ich meine Bestimmung gefunden.