Seit Geburt habe ich das Rieger-Syndrom. Das ist eine Erbkrankheit; in manchen Fällen sind nur die Augen betroffen, in anderen geht das Syndrom auch mit Muskelverkürzungen im Bereich des Herzens oder intellektuellen Einschränkungen einher. Als ich vor einigen Jahren mit meiner Frau über Familienplanung sprach, habe ich mich in Zürich untersuchen lassen. Meine Mutter, die das Syndrom ebenfalls hat, reichte auch einen Bluttest ein. Die Ergebnisse zeigten, dass meine entsprechenden Gene sich bereits mutiert haben. Bei mir sind vorwiegend die Augen betroffen.

In meiner Kindheit und frühen Jugend habe ich noch gesehen. Mit etwa 16 begannen dann die Operationen zur Drucksenkung, zuerst am linken Auge. Man erweiterte den Kammerwinkel, der verwachsen war. Der Abfluss der Flüssigkeit war nicht gewährleistet. Dann kam eine Infektion dazu, die den Augendruck wieder erhöhte – die hat man mit Antibiotika wieder verringert. Später musste der Druck mit Laser-OPs gesenkt werden. Weil jede Operation bedeutet, dass die Hornhaut geöffnet wurde, führte das zu Vernarbungen. Die Nährstoffzufuhr zur Hornhaut wurde immer schlechter, und im Alter von 23 wurde ich blind.

In Basel habe ich dann die blindentechnische Ausbildung gemacht: Lernen, mit dem Stock zu laufen, Punktschrift zu lesen, am PC mit Hilfsmitteln zu arbeiten etc. Gleichzeitig bin ich – der immer gerne Leichtathletik gemacht hat – in den Behindertensport eingestiegen und war jahrelang im Weitsprung in der Weltklasse dabei. Offiziell habe ich 2012 mit dem Sport aufgehört. Der Grund war, dass ich keine Begleitpersonen mehr gefunden habe. Und natürlich spielt auch das Alter mit hinein. Man muss sehr viel trainieren, wenn man mit der Weltspitze mithalten will.

Beruflich bin ich in der Ausbildung zum Pastoralassistenten in der katholischen Pfarrei Murten. Als pastoraler Mitarbeiter arbeite ich schon lange: zur Hälfte halte ich Religionsunterricht und bin verantwortlich für die Katechese im Pfarreiteam, zur anderen Hälfte organisiere ich Familien- und Kleinkindergottesdienste, verfasse redaktionelle Beiträge und vertrete die Laientheologen von Deutschfreiburg. Das heisst: Gremienarbeit, Sitzungen in Dekanaten usw.

Ich habe vier Kinder, zwei davon haben das Rieger-Syndrom auch, aber sie sind nicht blind. Beim älteren Sohn ist die Pupille mit dem Kammerwinkel verwachsen, weshalb er eine geringere Sicht, ein kleineres Blickfeld hat. Eine Operation hat kürzlich seine Sehfähigkeit von 6 Prozent auf 80 Prozent verbessert! Das haben wir kaum glauben können, damit hat niemand gerechnet. Der jüngere Sohn hat glücklicherweise keine Seheinschränkung.

Nach meiner Erblindung habe ich jahrelang keine Ärzte mehr besucht. Dann kam ein Glaucom-Anfall; der Druck schoss wieder in die Höhe. Ich bin jetzt zwar schmerzfrei, gehe aber regelmässig zur Kontrolle und behandle das Glaucom immer noch mit Augentropfen. Diese Therapie ist voll ausgereizt. Wenn es stärker wird, werde ich um neue OPs nicht herumkommen. Ich hoffe, dass mir das noch lange erspart bleibt.

 

Lukas Hendry

Aufzeichnung: Ann-Katrin Gässlein