Eine Frau betrachtet das Bild "Vorhaben" visuell, eine andere erfasst das dazugehörige Relief mit den Händen.
Das Zentrum Paul Klee stellt permanent einige Reliefs zu den Bildern von Klee aus. / Bild: Zentrum Paul Klee

In Kunstmuseen gibt es eine besondere Art der Bilderfahrung: taktile Reliefs. Diese speziell angefertigten Werke ermöglichen es blinden und sehbeeinträchtigten Besuchern, Kunstwerke zu ertasten und auf eine andere Weise zu erleben. Die Herstellung solcher Reliefs erfordert viel Feingefühl und Kreativität, wie das Beispiel der Zusammenarbeit der Blindenschule Zollikofen mit dem Zentrum Paul Klee zeigt.

von Michel Bossart

Bildreliefs in Kunstmuseen ermöglichen blinden und sehbeeinträchtigten Besuchern und Besucherinnen, ein Kunstwerk taktil zu erfahren. Silvia Brüllhardt ist Leiterin der Abteilung Lehrmittel der Blindenschule Zollikofen und durfte vor ein paar Jahren in Zusammenarbeit mit dem Kindermuseum Creaviva und dem Zentrum Paul Klee drei grosse Tafelreliefs aus Holz und ein Glasrelief von Werken von Paul Klee mitentwickeln. Sie erinnert sich: «Bei der Auswahl der Werke haben wir darauf geachtet, dass wir Bilder auswählen, die sich als Relief ideal darstellen lassen.» Brüllhardt erklärt: «Klee arbeitete oft mit subtilen, unterschiedlichen Farbnuancen, was wir in einem Relief fast unmöglich reproduzieren können.» Ein geeignetes Werk hingegen war «Vorhaben». Das 1938 entstandene Oeuvre gehört zu Klees Spätwerk. Das Gemälde ist mit zahlreichen abstrakten und zum Teil biomorphen Formen und Symbolen gefüllt. Diese erinnern an Hieroglyphen oder Piktogramme. Die Symbole scheinen zufällig auf der Leinwand verteilt zu sein und ergeben eine komplexe, dichte Komposition.
Die Farben des Gemäldes reichen von Schwarz über Oliv, Altrosa und Blassgelb. Brüllhardt erklärt: «Uns wurde rasch klar, dass wir uns vom Original lösen müssen, auch weil die Farben gemischt verwendet wurden.» Das Team hat sich dann für drei Holzarten entschieden: Ahorn (hell), Kirsche (mittel) und Wenge (dunkel). Da man Holzfarben aber nicht ertasten kann, muss die Oberfläche entsprechend anders gestaltet werden: Zur Unterscheidung der Figuren und Farben wurde der Bildinhalt auf drei Ebenen reduziert und mit drei verschiedenen Strukturen versehen: glatt, gerillt und gelocht. Holz lässt sich sehr gut bearbeiten und ist darum für Reliefs gut geeignet. «Viel einfacher als Glas oder Stein», sagt Brüllhardt. Zudem sei es angenehm zum Anfassen und dass das Ursprungsbild von Klee in warmen Farben gestaltet worden war, sprach ebenfalls für die Materialwahl.
Hätte man in Anbetracht der verschiedenen Strukturen aber nicht genauso gut nur eine Holzart verwenden können? Theoretisch ja, aber Brüllhardt sagt, dass das Relief ein eigenständiges Kunstwerk sein soll, das auch visuell ansprechend ist. Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zwischen Eigenständigkeit und Nachahmung zu finden.

Dieses Foto zeigt einen Ausschnitt des Bildreliefs, auf denen unterschiedliche Strukturen des Holzes zu erkennen sind.
Bild: Zentrum Paul Klee

Grenzen der Umsetzung
Abgesehen von der Farbenvielfalt, die für ein Werk verwendet wurde, eignet sich grundsätzlich alles, um in Reliefform abgebildet zu werden? «Es gibt keine scharfen Grenzen», sagt Brüllhardt. Aus Erfahrung könne sie sagen, dass man nicht zu viele Details nachbilden solle. «Man riskiert sonst, dass das Werk nicht ganz wahrgenommen werden kann.» Überhaupt erschlössen sich einem Bilderreliefs in den wenigsten Fällen allein durchs Tasten. «Wir empfehlen eine Einführung, eine mündliche Erklärung zum Bild beziehungsweise eine Tastanleitung», sagt sie.
Die Frage, ob eine Audiodeskription oder ein ertastbares Relief eine ähnliche Museumserfahrung garantiere, kann Brüllhardt weder mit Ja noch mit Nein beantworten. Denn: «Es handelt sich um zwei verschiedene Methoden, die man am besten miteinander kombiniert.» Gerade bei Bildern in einem Museum, die man in der Regel nicht anfassen darf, ist es eine grosse Hilfe, wenn sie taktil erfahrbar gemacht und nicht nur beschrieben werden. Das zeigt sich an Klees «Vorhaben»: Die vielen Symbole und Signets zu erklären, wäre sehr schwierig und kaum zielführend.

Dieses Foto zeigt einen Ausschnitt des Bildreliefs, auf denen unterschiedliche Strukturen des Holzes zu erkennen sind.
Bild: Zentrum Paul Klee

Dankbares Projekt für Sponsoren
Die Reliefs für das Paul Klee Museum wurden in der hauseigenen Werkstatt der Blindenschule Zollikofen in aufwändiger Handarbeit und im Rahmen einer Sonderausstellung hergestellt. Von der Idee bis zum fertigen Relief durchlief das Projekt einen langen Prozess. Zunächst musste man die nachzubauenden Bilder bestimmen, dann wurde ein Muster hergestellt. Bei ‹Vorhaben› zum Beispiel war der erste Test aus gefärbtem und gebeiztem Holz unbefriedigend und das Team hat sich für eine neue Variante aus drei verschiedenen Holzarten entschieden. «Es gibt halt nie nur den einen Weg», meint Brüllhardt. Ausprobieren, testen lassen und allenfalls neu konzipieren gehört zur Herstellung eines Reliefs.
Auch wenn Reliefs in Grösse und Form dem Original gleichen sollten, so entschied man sich für «Vorhaben» leicht von den Originalmassen abzuweichen: «Aus unserem Alltag mit blinden und sehbeeinträchtigten Personen wissen wir, dass ein Reliefbild mit dem Ausstrecken beider Arme erfasst werden sollte», gibt Brüllhardt zu bedenken. Als ideale Grösse erwies sich darum ein Format von 80 auf 60 Zentimeter. Das Reliefbild musste gemessen am Original (75.5 auf 112.3 Zentimeter) also leicht verkleinert werden. Zusätzlich habe man in Tests herausgefunden, dass es für blinde und sehbeeinträchtigte Personen angenehmer ist, wenn das Tastfeld nicht flach auf dem Tisch liegt, beziehungsweise an der Wand hängt. «Besser ist, wenn das Bildrelief etwas schräg auf einem Sockel zu liegen kommt. Dies konnten wir für die Paul-Klee-Ausstellung so realisieren.»
Ja, die Herstellung eines Bildreliefs sei aufwändig und darum auch teuer. Brüllhardt gibt aber zu bedenken, dass sich für Projekte dieser Art ohne weiteres Sponsoren finden lassen können. «Es ist doch ein dankbares und gut vermittelbares Unterstützungsprojekt », zeigt sie sich überzeugt.

Dieses Foto zeigt einen Ausschnitt des Bildreliefs, auf denen unterschiedliche Strukturen des Holzes zu erkennen sind.
Bild: Zentrum Paul Klee

Inklusives Museum
Auch wenn die vier Bildreliefs nicht Teil der Dauerausstellung sind, so versucht das Zentrum Paul Klee in Bern doch, das Museum auch für sehbeeinträchtigte und blinde Besucher und Besucherinnen attraktiv zu gestalten. So sind Führhunde jederzeit willkommen, an der Museumskasse können Texte zu den aktuellen Ausstellungen in Grossschrift bezogen werden. Zudem werden mehrmals pro Jahr inklusive Führungen organsiert, an denen Bilder mit geeigneten Mitteln (Tastreliefs, Quellkopien etc.) sinnlich erfahrbar gemacht werden. Die nächste «Sinn-Reich für alle »-Führung findet am 26. Oktober 2024 um 13 Uhr statt; sie dauert 60 Minuten.


Korrigendum

Im Schwerpunkt der Ausgabe 2/24 des tactuel ist uns auf Seite 9 ein Fehler unterlaufen. Die Abbildung zum Artikel «Alte Menschen wollen nicht auch behindert sein» hat ein falsches Copyright und eine falsche Bildlegende erhalten. Das korrekte Copyright ist: Descience@KSiA Die Bildlegende muss lauten: Darstellung Fokusassessment: Bestimmung des Gesichtsfeldes.