Taktil-visuelle Markierungen und bauliche Elemente sind für Menschen mit Sehbehinderung, die mit dem öffentlichen Verkehr reisen, essenziell. Elektronische und digitale Tools wie die Türöffnertaste von EAO und die App SBB Inclusive unterstützen zudem das autonome und sichere Reisen und damit die lückenlose Führungskette.

Von Kathrin Schellenberg, Verantwortliche Medien und Kommunikation, SZBLIND

dieses Bild zeigt einen Mann der mit einem Langstock der Sicherheitslinie entlang geht.
Die Sicherheitslinie entlang des Perrons dient zur Abgrenzung der Gefahrenzone. / Bild: SZBLIND

Für Menschen mit Sehbeeinträchtigung wird es beim Reisen mit dem öffentlichen Verkehr gefährlich, wenn sie die Orientierung verlieren. Sie müssen sicher erkennen können, ob sie längs oder quer zur Gefahrenstelle gehen, um nicht plötzlich und unverhofft vor dem Abgrund der Gleisgruben oder einem Treppenabgang zu stehen. Hier kommt die sogenannte Führungskette ins Spiel. Diese soll sicherstellen, dass eine Person mit Sehbehinderung, sobald sie aus dem Zug steigt, mit taktil-visuellen Markierungen bis zum Verlassen der Perronanlage geführt wird. Die Sicherheitslinie entlang des Perrons trennt dabei die Gefahrenzone vom sicheren Bereich ab. «Zur autonomen Nutzung des öV ist die Führungskette durchgehend, also lückenlos, zu gestalten. Sie muss zudem an weiterführende Orientierungselemente angeschlossen sein», sagt Felix Opel, O+M Fachexperte der Fachstelle Sehbehinderung Zentralschweiz.
Die Anbindung kann mit baulichen Elementen konzipiert werden – bei Rampen und Treppen sind dies beispielsweise Handläufe, die beidseitig angebracht sind – oder taktil-visuell anhand von Leitliniensystemen, die zu Haltestellen weiterer Verkehrsmittel oder Fussgängerstreifen führen. Bei angrenzenden Publikumsbereichen wie Bahnhofvorplätzen sollten vorzugsweise bauliche Elemente – unter anderem Geländer, Mauern, Grün-flächen und Belagswechsel – eingesetzt werden.

Einheitliche und durchgehende Lösungen
Zur Planung einer lückenlosen Führungskette innerhalb von Bahnhöfen beschreiben Transport-unternehmen gemäss dem BAV-Leitfaden «Taktil-visuelle Markierung von Bahnperrons», der Bestandteil des Bundesrechts bildet, die für Menschen mit Sehbehinderung wesentlichen Wege in einem Führungskonzept. Ins Führungskonzept einzubeziehen sind auch die für die Benutzung der Bahn relevanten Bedien- und Informationselemente. «Anmeldetaster bei Halt auf Verlangen müssen so platziert und beschriftet werden, dass sie auffindbar sind. Handläufe an Perronzugängen werden mit taktilen Gleisschildern ausgerüstet, die Informationen wie Gleisnummern und Sektoren in Braille- und Reliefschrift abbilden», erklärt Felix Opel.

Zur besseren Zugänglichkeit der taktilen Informationen hat sich die Begleitgruppe «Menschen mit Sehbehinderung im öffentlichen Verkehr», welche sich aus Vertretungen der nationalen Sehbehindertenorganisationen zusammensetzt, im Jahr 2021 an der Erarbeitung der SBB-Richtlinie «Taktile Signaletik am Bahnhof» beteiligt. Dabei handelt es sich um einen Branchenstandard, der sich nach der lückenlosen Führungskette richtet. Die SBB setzt diese Richtlinie nun etappenweise an ihren Bahnhöfen um.

Eine solche Standardisierung ist für die lückenlose Führungskette allgemein wünschenswert. Die BAV-Richtlinie sieht vor, dass «eindeutige, intuitiv erkennbare, möglichst einheitliche Lösungen an-zuwenden» sind. Dadurch werden eine gute Orientierung und leicht verständliche Informationen erreicht.

Türöffnertaste mit innovativen Eigenschaften
Nebst taktil-visuellen Markierungen und baulichen Elementen können auch intuitive Bedienelemente, die direkt an den Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs angebracht sind, zum autonomen Reisen beitragen. Das 1947 gegründete Schweizer Familienunternehmen EAO AG mit Hauptsitz in Olten bietet unter anderem Türöffnertasten an, die optische, taktile und akustische Feedbacks geben. «Ursprünglich der Pionier von Drucktasten mit integrierter LED-Beleuchtung im Industrie-Umfeld, hat sich EAO bis zum weltweit führenden Hersteller von hoch qualitativen Tasten, zum Beispiel für den Transportbereich, weiterentwickelt», sagt Dominique Burkard, Industrial- & User Experience-Design Manager bei EAO. Die «all-in-one»-Türöffnertas-te von EAO weist eine grosse Betätigungsfläche mit erhabenen Symbolen auf, zwei individuell ausleuchtbare Feedback-Ringe ringsum und speziell für Menschen mit Sehbehinderung einen integrierten Auffindeton. Ob Tasten jedoch mit Auffindeton verbaut werden, liegt im Ermessen des Betreibers. Zwar sollten die Türen der Züge, die in der Schweiz verkehren, grundsätzlich mit einem Auffindeton ausgestattet sein, das in der Türöffnertaste integrierte akustische Signal unterstützt aber Menschen mit Sehbehinderung zusätzlich beim Einsteigen.

Türöffnertaste
Die Türöffnertaste wird auch von Menschen mit Sehbeeinträchtigung aufgefunden. / Bild: EAO

Die Corona-Pandemie hat EAO angetrieben, die Taste so weiterzuentwickeln, dass sie auch berührungslos funktioniert. Aus diesem Kundenbedürfnis ist eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Tastenhersteller und dem Schweizerischen Zentralverein für das Blindenwesen SZBLIND entstanden. «Ein Selbstversuch von EAO-Mitarbei-tenden sowie Workshops mit Betroffenen haben uns die Problematik von Touchless-Anwendungen für Menschen mit Sehbehinderung näherge-bracht. Uns ist es gelungen, wichtige Inputs aus Sicht von Menschen mit Sehbehinderung zu er¬halten», so Dominique Burkard. Um zu verdeutlichen, dass die Handbewegung den Befehl «Türe öffnen» auslöst, hat EAO deshalb zusätzlich einen Feedbackton in Form einer kurzen Tonabfolge in die Türöffnertaste integriert. Die Lautstärke, Tonfolge und -art sind das Resultat der Zusammenarbeit mit dem SZBLIND. Im Herbst 2022 wurde die innovative Touchless-Türöffnertaste erstmals im Rahmen der InnoTrans, der internationalen Fachmesse für Verkehrstechnik, der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Produkt kann voraussichtlich ab 2024 in Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs verbaut werden. «Aktuell können unsere Türöffnertasten noch nicht digital kommunizieren, aber wir möchten dem Lauf der Zeit Rechnung tragen», sagt Dominique Burkard.

Autonomes Reisen mit dem Smartphone
Die App «SBB inclusive» hat auch Funktionen integriert, die nebst den ortsbezogenen Reiseinformationen eine lückenlose Führungskette unter-stützen. So kann die App den Türknopf mittels Smartphone-Kamera auffinden. SBB Inclusive bringt aber zudem die wichtigen Reiseinformatio­nen wie aktuelle Abfahrtszeiten, umliegende Haltestellen, Zugsinformationen und Anschlüsse auf das Smartphone. Menschen mit Sehbehinde­rung haben je nach Bedürfnis die Option, diese Informationen per Sprachausgabe zu erhalten, im Dark Mode oder mit vergrösserter Schrift anzei­gen zu lassen. «Indem wir optische und digitale Kundeninformationen auf dem Smartphone zu­gänglich machen, gehen wir mit der Zeit. SBB Inclusive ist eine moderne und innovative Mög­lichkeit, Menschen mit Sehbehinderung ein selbständigeres und sichereres Reisen zu ermögli­chen», sagt Reto Allemann, Projektleiter SBB Inclusive. 2020 hat die SBB vom SZBLIND die Aus­zeichnung «Canne blanche» erhalten, weil die Fach- sowie die Publikumsjury vom Mehrwert der App für Menschen mit Sehbehinderung, Blindheit und Taubblindheit überzeugt war. Seit SBB Inclu­sive zum Download verfügbar ist, hat sich die App stetig weiterentwickelt. Im November 2022 wurde SBB Inclusive als erste App der Schweiz überhaupt von Access for all zertifiziert. Aktuell funktioniert sie an Schweizer Bahnhöfen, in allen Fernverkehrszügen der SBB sowie in Teilen des Regionalverkehrs in Zürich. Für Züge, die noch nicht mit der dafür erforderlichen Beacon-Technologie ausgerüstet sind, ist in der App der er­wartete Fahrplan ohne Echtzeitanpassungen ver­fügbar. «Die Beschaffung der Beacons hat sich aufgrund der herausfordernden Zeit mit Corona und dem Ukraine-Krieg verzögert. Wir streben aber an, die Technologie so schnell wie möglich zu verbauen, damit alle SBB-Züge automatisch erkannt werden», so Reto Allemann. Ab 2023 sind noch weitere Meilensteine geplant: Aktuell fin­den Gespräche mit anderen Verkehrsunterneh­men statt, um eine mögliche Integration dieser in die App zu diskutieren. Ein erster Test im städti­schen Nahverkehr wurde mit den Basler Verkehrs-Betrieben Anfang 2022 durchgeführt. Auch be­züglich akustischer Informationen ist SBB Inclusive auf dem Vormarsch: Nachdem im Dezember 2022 bereits Durchsagen an SBB-Bahnhöfen im App zugänglich gemacht wurden, soll dies nun auch für SBB-Züge in Angriff genommen werden. Zu­dem ist ein digitales Alarmsystem geplant, um die Bahnpolizei in Notfällen nicht nur lautsprachlich kontaktieren zu können. Zu guter Letzt wird mit SBB Inclusive langfristig die Verbesserung der Orientierung am Bahnhof angestrebt. «Uns ist wichtig, dass wir Kundenbedürfnisse möglichst gut abdecken. Dafür treten wir gerne in Dialog mit Nutzerinnen und Nutzern», sagt Reto Allemann.

Anwendungsbild "Türknopf erkannt" der App SBB Inclusive.
Mit der Funktion «Türknopf» lässt sich die Türe und der Türknopf des Zugs finden. / Bild: SBB Inclusive

Sie haben Verbesserungs­vorschläge für die App?

Nehmen Sie mit dem Team von SBB Inclusive per E-Mail (sbb-inclusive@sbb.ch) oder direkt in der App Kontakt auf.