Die Bedeutung der Bestimmung des Kontrastsehens
Wir wissen sehr wenig darüber, wie das Kontrastsehen bei der Population der Menschen mit Sehbehinderung in der Schweiz ausgeprägt ist. In einer neuen Studie ist der SZBLIND diesen Fragen nachgegangen.
Von Stefan Spring und Susanne Trefzer, Schweizerischer Zentralverein für das Blindenwesen SZBLIND. Lenzburg/Zürich
Das Kontrastsehen, also die Fähigkeit, auch bei schwächerem Kontrast Flächen, Schriftzeichen oder Gegenstände zu unterscheiden, nimmt bei den meisten Menschen ab dem 50. Lebensjahr ab. In den im schweizerischen Sehbehindertenwesen durchgeführten Low Vision-Abklärungen wird der Wert des verminderten Kontrastsehens gemessen und für die Rehabilitation genutzt. Die in «Log-Stufen» angegebenen Werte des reduzierten Sehvermögens im niedrigen Kontrast zeigen den Verlust an Kontrastempfindlichkeit an (LCS). Unter Berücksichtigung des Alters gelten allgemein folgende Interpretationshilfen:
- Verminderung von 0 bis 3 log-Stufen: Kontrastempfindlichkeit nicht eingeschränkt
- Verminderung von 4 bis 6 log-Stufen: Kontrastempfindlichkeit eingeschränkt
- Verminderung grösser als 6 log-Stufen: Kontrastempfindlichkeit stark eingeschränkt
Die „SZBLIND-Fachkommission Low Vision“ stellte fest, dass kaum Informationen darüber vorliegen, wie die Gruppe der Menschen mit Sehbehinderung in der Schweiz von einer Verminderung des Kontrastsehens effektiv betroffen ist. Ein besseres Wissen dazu wäre wichtig zur Untermauerung der Forderungen des Blindenwesens an das Bauwesen (z.B. Signaletik, Beleuchtung, Blendschutz), Hinweise für die Ausstattung von Installationen (Aufzüge, Haushalts- Arbeitsplatz- und Kommunikationsgeräte, Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs usw.) und allgemein für die Interessenvertretung (Normen, Reglemente, Gesetze).
33 Low-Vision Fachpersonen von Beratungsstellen und spezialisierten Sonderschulen haben 2019 bei 314 Personen mit Sehbehinderung die Kontrastsensitivität einheitlich gemessen und zusammen mit weiteren Parametern anonym zur Verfügung gestellt. Wir danken den teilnehmenden Fachpersonen auf diesem Weg nochmals herzlich. Die Messungen ergaben einen durchschnittlichen Verlust an Kontrastsensitivität von -3.1 Log-Stufen (binokular). Der Median liegt bei -3, was beeutet, dass 50% der involvierten Personen einen höheren und 50% einen tieferen Verlust aufweisen. Damit liegt der Mittelwert exakt auf der Grenze zum problematischen Verlust an Kontrastsensitivität. Allerdings wurden sehr grosse Unterschiede ersichtlich, von LCS = 0 (kein Verlust) bis LCS -10. Die Unterschiede bestehen in allen Altersgruppen und auch bei gleicher Sehschärfe (Visus). Zudem wurden auch grosse Unterschiede zwischen den beiden Augen ersichtlich.
Betrachtet man die Fälle genauer, zeigt sich, dass ein guter Visus nicht automatisch gutes Kontrastsehen bedeutet. Klärt man allein den Visus im hohen Kontrast ab und geht man den möglichen grossen Unterschiede zwischen dem dominanten und dem nicht dominanten Auge nicht nach, versteht man bei einigen Personen die berichteten Probleme im Alltag nicht. Ein tiefer Visus bedeutet auch nicht automatisch, dass ein tiefer LCS-Wert erwartet werden muss. Die Kontrastverminderung ist für die Low Vision-Rehabilitation aber auch unabhängig vom Visusverlust, oder in Interaktion mit ihm und der Augendominanz, eine wichtige Information, durch welche die betroffene Person besser verstanden werden kann und die rehabilitativen Massnahmen auf eine zusätzliche Dimension abgestellt werden können.
Ida Müller ist 81 Jahre alt und hat einen Visus von 0.320 und einen Verlust der Kontrastempfindlichkeit binokular gemessen von -3 Log-Stufen. Die Low-Vision-Fachperson hat zudem die LCS-Werte für beide Augen und die Dominanz gemessen:
- Rechtes Auge: LCS -4 Log Stufen
- Linkes Auge: LCS -1 Log Stufe
Bei Frau Müller ist das rechte Auge dominant, also die Seite, bei der ein stärkerer Verlust der Kontrastwahrnehmung vorliegt. Dies ist für sie nachteilig. Bei einem niedrigen Visus um 0.3 wirkt sich die Kontrastwahrnehmung entscheidend aus. Mit -4 Log-Stufen LCS auf dem dominanten Auge kann die Autonomie im Haushalt und bei der Selbstsorge, das Erledigen der Post, das Lesen der Zeitung etc. nur aufrechterhalten werden, wenn die Wohneinrichtung und die Alltagsgegenstände sehr gute Kontraste aufweisen und zudem optimal beleuchtet sind. Eine angepasste Küchenwaage, eine Uhr oder ein Telefon mit gut lesbarer Anzeige – diese Gegenstäbde können über den Hilfsmittelshop des SZBLIND bezogen werden. Eine Waschmaschine oder einen Kochherd mit kontrastreicher Anzeige zu finden, ist jedoch schwierig.. Haushaltsgeräte sind selten mit gut lesbaren, allenfalls mit im Negativkontrast ausgestatteten Bedienungsfeldern erhältlich. Auch im öffentlichen Raum stösst Ida Müller immer wieder auf Hindernisse mangels Kontrast: Billett-Automaten weisen beispielsweise viel zu geringe Kontraste auf dem Display auf. (Weitere Beispiele im Bericht)
Der Studienbericht zeigt auf, dass Low Vision-Abklärungen immer vollständig sein sollten, also alle Parameter auf beiden Augen und binokular erheben müssen. Nur so ist gewährt, dass die Wechselwirkungen zwischen dem Visus, dem Kontrastsehen und der Dominanz erkannt und für die Rehabilitation nutzbar gemacht werden können. Die Situation auf dem dominanten Auge muss unter Umständen speziell beachtet werden. Dies gilt nicht nur für die spezialisierte LV-Abklärung, sondern auch für die augenärztliche Untersuchung und für Sehtests beim Optiker, denn Massnahmen zur Kontrastverstärkung und entsprechende Beleuchtung sind auch für den Alltag von Klientinnen und Klienten mit relativ guten Visus-Werten, bei denen primär mit einer Brille interveniert werden kann, sehr wirkungs- und sinnvoll.
Der vollständige Bericht ist erhältlich auf www.szblind.ch/forschungsberichte