Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
Die grösste Blindenschule der Schweiz, die Stiftung Zollikofen, feiert in diesem Jahr ihr 175-jähriges Bestehen. Ein Blick in die bewegte Vergangenheit zeigt, dass die letzten 25 Jahre mehr Änderungen mit sich brachten, als die eher ruhigen und gemächlichen 150 Jahre zuvor.
In vieler Hinsicht ist die heutige Blinden- und Sehbehindertenpädagogik nicht mehr vergleichbar mit früheren Zeiten. Die Einrichtungen haben sich geändert – und mit ihnen ihr Angebot. War man jahrzehntelang der Ansicht, dass blinde und sehbehinderte Kinder einzig in einem Internat am besten aufgehoben seien, ist die schulische Laufbahn eines sehbehinderten Kindes heute individuell plan- und gestaltbar. Daher ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme: Lesen Sie in dieser Ausgabe von tactuel, welche Möglichkeiten für blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche heute bestehen: von der Frühförderung von Babies und Kleinkindern im heilpädagogischen Rahmen über separative Sonderschulen und Internate zur integrativen Schulung, wo sie die Schulbank gemeinsam mit anderen, nicht sehbehinderten Kindern, drücken – bis hin zur gezielten Unterstützung beim Eintritt in das Berufsleben.
Eine Bestandsaufnahme der heutigen Sehpädagogik beinhaltet auch einen Ausblick: Wie wird sich die Zahl blinder und sehbehinderter Kinder entwickeln? Braucht es auch in der Zukunft Sonderschulangebote? Und ebenfalls nach den Zahlen fragt Stefan Spring, Forschungsbeauftragter des SZB. Er hat schweizerische und internationale Angaben zur Zahl der blinden und sehbehinderten Menschen verglichen, Statistiken kritisch ausgewertet und Gespräche mit Fachpersonen geführt. Das Resultat ist eine neue Schätzung zur Anzahl sehbehinderter Menschen in der Schweiz: Statt von 80’000 können wir heute von rund 310’000 betroffenen Personen ausgehen! Und diese Zahl wird in den nächsten 20 Jahren voraussichtlich nochmals stark ansteigen. Die Gründe erfahren Sie im Artikel ab S. 16.
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.
Ann-Katrin Gässlein, Redaktorin